Re: "Krautrock" und seine Verwandten

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mikko
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So, ich habe die LP gestern aufmerksam gehört.

Die Produktion ist in der Tat sehr gut. Allerdings finde ich das soo verwunderlich nun auch nicht. Das Dierks Studio gehörte damals, ebenso wie das von Conny Planck, zu den modernsten und innovativsten Studios in Europa.
Musikalisch sind Hölderlin wirklich sehr nah am damals angesagten Folkrock aus England mit den entsprechenden Anleihen bei Psychedelia und Exotik. Und höchstwahrscheinlich haben die Musiker von Hölderlin all die damals aktuellen Platten aus dem UK und aus den USA gekannt. Pink Floyd höre ich da allerdings nicht so sehr. Weder die ganz frühen (Syd Barrett) noch die etwa zeitgleichen (Atom Heart Mother, Meddle). Das ist eher so ein bisschen wie der psychedelische Folk und Folkrock solcher Bands wie Incredible String Band oder Mellow Candle (letztere dürften Hölderlin allerdings eher nicht gekannt haben) mit weiteren Zutaten, die sowohl der klassischen Ausbildung der Musiker wie einem sich gerade entwickelnden Krautrock geschuldet sind. Nicht nur durch die deutsche Sprache wirken Hölderlin sehr deutsch. Ihre Verarbeitung angloamerikanischer Einflüsse ist typisch für deutsche Pop- und Rockmusik jenseits des Mainstream damals. Durch ihre Aufnahme von Klassik und Folk in ihre Musik und ihre zum Teil expressionistisch verklausulierte Lyrik erinnern sie mich stark an DDR Bands der frühen 70er Jahre. Ich habe zwischen 1970 und 1975 sowohl west- wie ostdeutsche Musik viel gehört. Die Ähnlichkeit fiel mir damals gar nicht so auf. Aber von heute betrachtet, könnte ich Hölderlin durchaus für eine DDR Band halten. Allerdings hätten sie sich in der DDR wahrscheinlich nicht Hölderlin nennen dürfen, und die Texte wären wohl auch nicht ganz so durchgegangen.
Deine Assoziationen mit Zeppelin und Jethro Tull kann ich zwar verstehen, halte sie aber trotzdem für irreführend. Hölderlin musizieren mit ähnlichen Instrumenten und greifen bestimmte Folksong Elemente auf, die auch Jimmy Page und Ian Anderson inspirierten, mehr ist da nicht. Leonard Cohen und Tim Buckley drängen sich mir erst recht nicht auf als Vergleich. Auch wenn diese beiden den Hölderlins vermutlich ebenso geläufig waren wie die Platten der britischen Bands.
Insgesamt gefällt mir die Platte nach so langer Zeit doch viel besser, als ich dachte. Und gerade weil Hölderlins Traum (übrigens ohne Apostroph) nicht so recht zu den üblichen Verdächtigen passt, wenn man an Krautrock denkt, nimmt diese Platte für mich eine besondere Stellung ein. Mit den Texten habe ich aber immer noch meine Probleme. Das ist in weiten Teilen leider doch nur verschwurbelte Pennäler Lyrik, die mich damals, als ich selbst noch Oberschüler war, durchaus angesprochen hat. Aus heutiger Sicht halte ich sie mit viel Wohlwollen für naiv sympathisch.

Das wär’s so weit.

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