Re: "Krautrock" und seine Verwandten

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Hier (auch aus aktuellem Anlass) einige bemerkenswerte Statements aus jüngsten Printmedien; – John Weinzierl von Amon Düül II:

„Phallus Dei“ ist in der ersten Phase als elektronische Oper angelegt, eine Art Verbindung aus Bild-Theater und Musik, die im ZDF gedreht wird.
Der Musik selbst geht ein dreiseitiges Pamphlet voraus, das die theoretischen Grundlagen festlegt. Dass es sich beim tatsächlichen Album um eine Improvisation handeln würde, gehört zu den meistkolportierten Missverständniissen der deutschen Rockgeschichte.

„Damals war es ja üblich, kurze Nummern zu schreiben. Das Format betrug in der Regel drei Minuten. Wir orientierten uns hingegen an der Klassik. Die Teile unserer Stücke setzten sich wie in Suiten oder sinfonischen Werken zusammen. Die kürzeren Nummern auf „Phallus Dei“ waren komplett durcharrangiert, aber ein zwanzigminütiges gab es damals einfach nicht. Wir wollten uns damals deutlich vom damaligen Pop abgrenzen und in Richtung ernste Musik gehen“

Die Mitglieder von Amon Düül II waren entgegen allem Anschein keineswegs jene chaotischen Kommunarden, die auf einem Trip unorganisiert losjammten. Ihre Interessen reichten von Jazz über Beatles und Pink Floyd bis zur Klassik. Doch ihr Konzept wurde ihnen unmittelbar von ihrem Leben diktiert.

Ganz anders Can: Die Band ist keine Kommune, sondern eine gleichberechtigte Sozietät avantgardistischer Spitzenmusiker, deren Erfahrungen von Stockhausen bis Freejazz reichen und die ihre Energie in einer neuen Art von Rock bündeln wollen. Bassist Holger Czukay bezeichnet die Band als „ziemlich lautes Kammerorchester“.
Keyboarder Irmin Schmidt nennt die Musik auf „Monster Movie“ nicht visionär, sondern geistesgegenwärtig. „Geistesgegenwärtig heißt, dass ich in dem jeweiligen Moment genau das sage, was gesagt werden muss. Diese geistesgegenwärtigen Äußerungen sind in der Kunst jene, die haltbar sind. Das nennt man später visionär. Man definiert einen persönlichen Moment, der sich mit einem historischen so präzise deckt, dass ein Stück Kunst entsteht, an das man sich auch später halten kann. Wir wußten, dass wir ziemlich präzise etwas ausgedrückt hatten, was wir alle empfanden.“

Von der Anlage sind sich „Monster Movie“ und „Phallus Dei“ gar nicht unähnlich. Je ein Longtrack, der von einigen kürzeren, aber markanten Stücken, flankiert wird. Doch während Amon Düül II ihre Hörer in eine Utopie entführen, in der sich alle Hierarchien auflösen, in den Konturen verwischen und nur noch große Farbflächen übrigbleiben, sind Can in höchstem Maße präzise und auf den Punkt. Gerade die Schärfe ihrer Linien beeinflußt bis heute Bands wie Stereolab, Sonic Youth oder Battles.
Sicher trifft auf beide Bands zu, was Weinzierl als Motivation von „Phallus Dei“ beschreibt: „Das haben wir vorsätzlich gemacht. Wir wollten aus dem kurzlebigen Popalltag raus. Es war aber auch bewußt eine Protesthaltung, zu sagen, wir brauchen mehr Zeit um etwas auszudrücken.“
Von einer gemeinsamen Haltung oder gar Szene kann dennoch keine Rede sein. Köln und München liegen im föderalen Deutschland der späten Sechziger einfach noch zu weit auseinander, um echte Berührungspunkte zu finden, wie Weinzierl bestätigt.
Beide Alben zusammen ergeben ein komplementäres, aber nahezu perfektes Bild der intellektuellen Befindlichkeit und des kreativen Aufbegehrens gegen Ende der auslaufenden Nachkriegsordnung. Das macht bis heute die Größe und Zeitlosigkeit dieser beiden Statements aus. *

Im gleichen Magazin kommen auch noch „uns“ Eloy ;-) zu Wort:

„…Die letzte Staffel der remasterten Alben verkauft sich im sechsstelligen Bereich…“ *

…na dann können wir ja beruhigt zu Bette gehen… ;-) (für heute :lol:)

* Quelle: Eclipsed 09/10

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