Re: "Krautrock" und seine Verwandten

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otis
Aber Mitte bis Ende der 60s war eine unglaublich freigeistige Zeit für die aufgeweckte Jugend und auch für die Musiker.

Gut, wenn du dich damit auf die aufkeimende „Beatwelle“ beziehst, dann ist das sicherlich richtig. Ich meinte aber eher die Periode, bevor das geschah. Aber es stimmt natürlich, dass man diese Episode nicht unterschlagen sollte. Auch wenn sie wohl ein Phänomen in sich selbst darstellte. Aber es war sicher der Beginn einer Autonomie, deren Spuren auch noch hier in unserem Thread nachzuverfolgen sind…

otis
Natürlich mussten die sich erst einmal den Kredit erspielen. Was ist daran so schlimm, dass Can ihre 1. LP privat veröffentlichten. Es spricht doch weder für noch gegen diese Zeit.

Natürlich könnte das auch Zufällen geschuldet gewesen sein, aber viele Bands waren doch auch eindeutig Anti-Establishment-orientiert; von daher hat sich diese Problematik wohl zu großen Teilen auch einfach von selbst so ergeben.

otis
Die Bedeutung der Monks in diesem Zusammenhang ist völlig überschätzt. Zum einen waren sie früher, zum anderen waren sie Amerikaner. Die Monks-Renaissance begann m.W. erst gegen Ende der 70s.

(Natürlich bin ich keiner, der der musikalischen Technik den Vorrang vor der Kreativität und Musikalität gibt, diese hat übrigens nicht per se etwas mit Handwerk zu tun. Mit solchem habe ich oben auch nicht argumentiert.)

Ich würde das nicht voreilig überschätzen. Hans Joachim Irmler von Faust kommt im Monks-Film (der im übrigen göttliche Pflichtanschauungsmaterie ist!) dazu selbst zu Wort und schreibt ihnen gar einen Hauptgrund zu, der dann später zur Faust-gründung geführt hat. Er bezeichnete es, soweit ich mich erinnere, als einen regelrechten Urknall. Sicher muß das nicht jeder gesehen und als Inspiration empfunden haben, aber wenn Faust dadurch gezeugt wurden, finde ich das persönlich als Relevanz mehr als bezeichnend.
Ihre „Renaissance“ mag dann tatsächlich stark verzögert vonstatten gegangen sein. Mich würde dennoch heiß interessieren, wer ihren Comedown tatsächlich real miterlebt hat und beeinflußt wurde…

Naja, du hast Amon Düül II in Vergleich mit den Dead gesetzt und ihre Improvisationen kritisiert. Was ich auch sinngemäß verstehe. Aber ich bleibe dabei, dass dies nicht eine Frage der Fähigkeiten war. Auf Wolf City oder Carnival in Babylon nimmt ihre Musik teils schon Art-Rock Ingredienzen in Anspruch, und steht qualitativ, tendenziell, außer Frage.
Ich behaupte felsenfest, das jegliche Nuance in ihrer Musik genau so gedacht und gefühlt war, wie wir sie heute auf den Alben genießen können. Es war m.E. eine ureigene und unverwechselbare Attitüde und ein Klang, der da angestrebt und umgesetzt wurde.
Ich bin, zu dem Thema, auch gestern auch sam´s rat gefolgt und habe mir endlich mal pop 2000 vom wdr angesehen.
Ich erlebte in schönen Interviews einen sehr aufgeräumten John Weinzierl, der nicht eine Sekunde, das Flair eines degenerierten Drogenwracks versprühte (Was ich eher erwartet hätte). Seine Äußerungen hatten Hand und Fuss, und ich würde mich wundern, wenn in UK / USA ein ähnliches Niveau vorherrschte. Diese Krautrocker erscheinen mir von Tag zu Tag bewußter und reflektierter in ihren Worten als auch Taten. Ich freue mich sehr darüber, weil es mir bestätigt, dass ich mir doch weniger in diese Wunderwelt reininterpretiert hab, als ich manchmal so bezweifelt habe.
Nein, nein, nein… im Gegenteil, das Bild wird zusehends vollständiger… ;-)

otis
Noch etwas zu Stockhausen… Als ich 71 zum Studium nach Köln kam, war er schlichtweg ein Star.
Er inszenierte sich gern arrogant als Unverstandener.
Wenn man den Stone-Artikel liest, erahnt man warum. Stockhausens Musik lebte von ihrer Neuartigkeit, ob in den 50s oder in den 60s. In seiner besten Zeit hat er immer wieder Neues geschaffen, sich kaum wiederholt. Und genau das liest sich doch in dem Artikel. Er klopft Musik daraufhin ab, ob es dieses oder jenes schon gegeben hat, inwieweit es spannend neu ist, und dann ist Schluss. Er hatte keinerlei Verständnis für Pop als solchen und für die muskalische Eindimensionalität von Pop/Rock. Gönnerhaft lässt er sich herab, darüber zu reden.
Es mag ja sein, dass er in Sausalito einige Funken der Urkraft der Musik dieser Zeit spürte, aber sein musikalischer Intellekt war immer zu wach, als dass er sich dieser wirklich hingeben konnte. Nein, nein, Stockhausen ist ein denkbar schlechter Zeuge.
Hinzu kommt, dass ein fanatischer Arbeiter wie er, der an wenigen musikalischen Sekunden 14 Tage arbeiten konnte, einfach in der Lage gewesen wäre, doch woh kaum ein handwerklich auf niederstem Niveau stehendes Improvisieren und Collagieren als ernst zu nehmende, seiner eigenen zur Seite stehende Musik anerkennen konnte. Es hätte menschliche Größe erfordert, so etwas zu tun…

In Köln, toll – da war er natürlich der Star überhaupt, da war er ja quasi zuhause…
Wenn man, wie Stockhausen, soviel einstecken mußte und regelrechte Hasstiraden gegen sein Werk entgegengebracht bekommt, was kann man dann tun? Aufgeben oder Weitermachen? Und wenn, dann wie?
Hätte er sich nach außen nicht etwas, vielleicht arrogant wirkend, abgeschottet, hätte er diese Karierre gar nicht überlebt! Das sollte man ihm bitte nicht negativ anhängen wollen. Das war ein rein menschlicher Schutzmechanismus.
Und ich sage es nochmal: Ich finde seine Kommentare im Stone sehr witzig und auch von einer schelmischen Weisheit beseelt. Zwischen den Zeilen kann man da auch viel schönes rauslesen, wenn man möchte.
Ich finde auch immer noch nicht, dass er herablassend war. Er spricht mit liebevollem Respekt von dem Erlebten und nochmals: Die dermaßen ausführlichen, schönen und poetischen Worte, die er zu Dark Star gefunden hat, schreibt keiner, der ignorant oder überheblich wäre. In der Zeit hätte er sicher Besseres zu tun gehabt. Ich sehe auch nicht zwingend einen Widerspruch von wachem Geist/Intellekt und Hingabefähigkeit. Vielmehr würde ich das gar nicht voneinander trennen wollen, dass ist doch kein zwingender Gegensatz, oder?
Aber der größte Schock war für mich dein letzter Absatz.
Dazu nur eine knappe Antwort aus dem Nähkästchen:
Ich habe mich ein Jahr vor Stockhausens Ableben bei seiner Stiftung um ein Stipendium beworben, dass für mich sehr wichtig gewesen wäre.
Meine email ging an das zuständige Sekretariat, an eine Frau dort, deren Name mir entfallen ist.
Ich bekam zwar kein Stipendium, aber Stockhausen persönlich war sich nicht zu schade meinen Fall zu bearbeiten und mir eine handbeschriebene Postkarte zukommen zu lassen, auf der er mir immerhin ermutigende Worte und Ratschläge zu meiner speziellen Situation zukommen ließ; und nicht zu knapp.
Ich war von dieser Geste so gerührt und sprachlos. Und seine Worte an mich waren einfach so voller Güte und Menschlichkeit.
Ich habe daraufhin seine Biografie gelesen und bin noch heute geplättet von seinem immensem Werk und es ist fast schon beschämend, in welchem Maße er sich für die Kunst geopfert hat.
Wenn jemand ganz und gar ein Mensch war, der auch das winzigste in diesem Universum zu schätzen wußte und um jegliche Erkenntnis und Mitgefühl bemüht war, dann war das Karlheinz Stockhausen! Ich bin heute noch traurig darüber, dass er so plötzlich dahinschied. Aber das Schlimmste daran ist, dass ich Idiot damals nicht seiner Einladung zu den Kursen nach Kürten gefolgt bin. Das war eine der dümmsten Entscheidungen meines Lebens.
Ich denke kaum, dass ich in die Verklärungsfalle getreten bin und würde mir einfach nur wünschen, dass man ihn mit Respekt in Ehren hält und ihm nicht irgendeinen Unsinn andichtet. Er mag es zuweilen provoziert haben, aber er war durch und durch einer von uns, da hab ich nicht den geringsten Zweifel…

Gruß an Alle!

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