Antwort auf: ECM Records

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vorgarten

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ECM 1064/65
keith jarrett: the köln concert

die geschichten um diese aufnahme herum sind so schön, dass sie ihr existenzrecht hätten, auch wenn sie nicht stimmten. die klavierverwechslung, der seit 20 jahren nicht mehr benutzte stutzflügel (in der hollywoodverfilmung würden spinnweben dranhängen), die hakenden pedale, dass jarrett nur die mittleren lagen gespielt hat, weil die oberen tasten klemmten, die junge konzertveranstalterin, der er sagt: wenn ich heute (trotz allem!) spiele, dann nur für dich. der übermüdete pianist. die tontechniker, die sich nach langer diskussion dazu durchringen, das konzert für die interne dokumentation dann eben doch mitzuschneiden. und war das jetzt der pausengong der kölner oper, den jarrett als einstiegsmotiv zitiert? die hälfte aller einträge dazu behauptet das, die andere sagt quatsch, einer weiß sogar, dass die oper gar keinen gong, sondern eine klingel gehabt habe.

3 einhalb millionen verkaufte tonträger (mittlerweile vielleicht sogar vier), cross-over-erfolg (also ein richtiger, nicht kamasi washington, eher getz/gilberto). jarrett und jarrettkenner und jazzhörer wissen: das war nicht sein bestes konzert. aber die leute wollten das halt so. 1975 war die welt noch in ordnung oder es gab noch die idee einer welt, die in ordnung ist und zwischen klavierakkorden und ostinati durchschimmert.

ich glaube, es ist was anderes. der große organische fluss, den jarrett hier hinbekommt, ohne den hauch eines bruchs, eines ab- oder aussetzens oder suchens, diese so überdeutliche entwicklungslinie von einem detail ins andere, die halbe popgeschichte dabei präsent, alles, was die westliche welt an musikalischer harmonie so hingekriegt hat bis dato – und alle können darin mitschwimmen. das angebot von jarrett am 24. januar 1975 war nicht ein stückchen heile welt, sondern vielleicht das versprechen, sich mit klarheit und eleganz und großer leichtigkeit durch die immer verstörender und komplexer daherkommene lebenswelt bewegen zu können, wenigstens vier albumseiten lang.

und es sind keine billigen effekte, die hier angewendet werden. meine lieblingsstelle ist mittendrin in „part II a“, wo er von der pedale abrutscht (oder so) und den perkussiven effekt danach synkopiert wiederholt, die akkorde mit der linken hand dabei weiterspielt, die melodieführende rechte aber aussetzen lässt. ein abrutscher kommt dann unpräzise, lautes aufstöhnen – aber das ganze macht er nur sieben (!) mal. so etwas zu finden und es dann nicht auszuwalzen, sondern sieben schläge später schon wieder eine idee weiter zu sein, ohne dass man den besonderen moment bereits vermisst, ist schon ziemlich groß.

Keith Jarrett piano
Recorded January 24, 1975 at the Opera in Köln, Germany
Engineer: Martin Wieland
Produced by Manfred Eicher

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