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dagobertDas Album ist „CD der Woche“ bei Funkhaus Europa. (noch nicht online)
Ich ergänz mal (hoffe das geht ok, dagobert):
„Nouvelle Vague“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „Neue Welle“. Der Ausdruck steht für eine Schule des französischen Films, die in den 1950-er Jahren von damals jungen Regisseuren wie Jean-Luc Godard, Francois Truffaut oder Eric Rohmer begründet wurde, um gegen die eingefahrenen Konventionen und die vorhersehbaren Formeln des Kinos ihrer Zeit rebellierten.Übersetzt man „Neue Welle“ ins Englische, dann wird „New Wave“ daraus – jener musikalische Stil, der aus der Punk-Revolte der Siebzigerjahre hervor ging und in den coolen Synthie-Pop der Achtziger mündete.
Und auf Portugiesisch? Da heißt es dann Bossa Nova: der brasilianische Nationalstil, eine Mischung aus akustischem Samba, geflüstertem Gesang und Cool-Jazz, entstand in den 1950erjahren in Rio de Janeiro, bevor er seinen Siegeszug durch die Cocktail-Bars und Fahrstühle dieser Welt antrat. Diese drei Bedeutungsebenen verbindet die französische Band Nouvelle Vague auf einzigartige Weise in ihrer Musik.
Auch Nouvelle Vague stellten, wie die französischen Kultregisseure, so manche ungeschriebene Regel und Gewissheit auf dem Kopf, als sie Klassiker des Punk und New Wave im Bossa-Nova-Gewand präsentierten – mit zart gezupften Gitarren statt mit kühlen Elektro-Beats und, statt von jungen Männern voller Weltschmerz heraus gebrüllt, von einer ganzen Riege junger, weiblicher Sängerinnen mit weichen, französischen Akzent mehr gesäuselt als gesungen.
Glaubt man Marc Collin und Olivier Libaux, den beiden treibenden Kräften hinter Nouvelle Vague, dann hatten die jungen Sängerinnen, die sie für ihr Projekt engagierten, allesamt keinen Schimmer, was es mit Punk und New Wave auf sich hatte, und konnten somit ganz unbefangen an die Oldies heran gehen. Süße Ignoranz oder Unschuld der späten Geburt? Als vor fünf Jahren das gleichnamige Debütalbum von Nouvelle Vague erschien, da hielten das manche lediglich für einen gelungenen Scherz – so, wie die Mambo-Versionen von Senor Coconut.
Doch wie diese, funktionierte die Chose auch bei Nouvelle Vague überraschend gut, weil das ungewöhnliche, neue Outfit den sattsam bekannten Songs ganz neue Seiten abzugewinnen vermochte, und dieses Konzept bewährte sich auch auf dem Nachfolger „Bande à part“ 2006.
Auf ihrem dritten Album, schlicht „3“ betitelt, holen sich Marc Collin und Olivier Libaux nun den Ritterschlag für ihre Remakes ab. Niemand Geringeres als die Schöpfer der Originale konnten sie als Gesangs-Partner für einige ihrer originellen Cover-Versionen gewinnen. Also singt Martin Gore jetzt mit Melanie Pain den Depeche Mode-Hit „Master and Servant“, der sich von der knalligen Sadomaso-Hymne zum lasziven Verführungsduett gewandelt hat. In „All My Colours“ tritt „Echo and the Bunnymen“-Frontmann Ian McCullough an der Seite der französischen Sängerin an, und auf „Our Lips are Sealed“ ist Terry Hall (ehemals The Specials und Fun Boy Three) zu hören.
Fehlt eigentlich nur noch Sid Vicious, um das Aufgebot komplett zu machen, aber der Sänger der Sex Pistols ist ja bekanntlich schon lange tot. Ob er sich wohl im Grabe herum dreht, wenn ihm sein sarkastisch hingespucktes „God save the queen“ nunmehr als säuselnder Akustik-Folk begegnet, wie manche Fans fürchten? Vielleicht dreht er sich auch einfach nur auf die Seite, um entspannt weiter zu träumen.
Das musikalische Spektrum von Nouvelle Vague hat sich auf „3“ verändert. Statt, wie bisher, aus Bossa Nova und Akustik-Reggae, schöpfen Nouvelle Vague nunmehr vor allem aus Country, Bluegrass und Barjazz, um alten Hits neuen Glanz zu verleihen. So brummt jetzt ein eleganter Kontrabass zu „Say Hello, Wave Goodbye“ von Soft Cell, das als groovende Barnummer daherkommt, während die „Road to Nowhere“ der Talking Heads nunmehr in einen schummrigen Western-Saloon zu führen scheint. Gary Numans „Metal“ watet knöcheltief im Blues, und „Heaven“ von den Psychedelic Furs verzückt als akustische Ballade. Außerdem in den Nouvelle-Vague-Verfremdungsmodus eingespeist wurden „Ca Plane Pour moi“ von Plastic Bertrand, „So lonely“ von Police und „Blister in the Sun“ von den Violent Femmes.
Wie fortgeblasen ist die bedeutungsschwere Düsternis, die viele dieser Songs aus der No Future-Ära einst umwehte, stattdessen wirken sie oft wie in luftige Höhen entrückt oder an idyllische Orte versetzt. Das ist beileibe nicht nur bloß ein ironisches Insider-Vergnügen für ein paar Eingeweihte, die sich am Aufeinandertreffen von nicht selten boshaft zynischen Texten von einst mit gefälligem Wohlklang von heute erfreuen. Es vermag auch solche Hörer zu fesseln, denen die Originale gar nicht mehr geläufig sind, und sie auf diese verborgenen Schätze der jüngeren Pop-Vergangenheit zu stoßen. Olivier Libaux jedenfalls ist überrascht, wie vielen jungen Mädchen er auf Tourneen begegnet, die ihn für den eigentlichen Urheber der Songs halten: „Sie denken tatsächlich, wir hätten all diese Songs komponiert“, hat er erstaunt fest gestellt. „Das ist schon seltsam“.
Autor: Zonya Dengi
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