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CHRIS WILLMAN – Rednecks & Bluenecks: The Politics of Country Music
Willmans Buch über die Roten und Blauen ist keine Abhandlung über Country Music oder deren Geschichte und auch keine über Parteipolitik. Willman befasst sich mit den politischen Ansichten und Gesinnungen von Country Music Künstlern zwischen den Anschlägen in New York, der entstandenen patriotischen Welle und George W. Bushs Wiederwahl. REDNECKS & BLUENECKS ist sowohl Country Music Fans zu empfehlen, als auch Leuten, die sich für politische Ansichten und Dispositionen interessieren, welchen man unterhalb professioneller Politik- und Politikerstatements und -veröffentlichungen in Amerika begegnen kann. Der Autor lässt Liberale, Konservative und auch die dazwischen zu Wort kommen. Es ist ebenfalls eine lohenswerte Lektüre für jene, die gerne Interviews lesen, in denen Akteure des Interesses selbst und ungeschminkt zu Wort kommen dürfen. Willman doziert nicht, sondern lässt erzählen.
Dass der Autor persönlich eher nach Links neigt, kann man zwar aus diesem überraschend fairen Buch herauslesen, ist aber ohne belang. REDNECKS & BLUENECKS ist weder eine Abrechnung noch eine Huldigung, sondern dem Autor gelingt eine bemerkenswerte Balance von links und rechts, von rot und blau, er urteilt nicht, wirft nichts vor, sondern lässt die Beteiligten ausführlich erzählen und überlässt dem Leser die Einordnung des Gelesenen. Besonders gelungen sind Passagen, in denen Interviewpartner ihre vorsichtige Zurückhaltung ablegen und offen über sich und andere Künstler zu reden beginnen. Eine der ganz großen Überraschungen des Buches in diesem Zusammenhang sind die Einblicke in die politischen Ansichten von Toby Keith oder auch von Ronnie Dunn. Natürlich entstehen zwangsläufig neben sehr erhellenden Einblicken auch weniger helle, wenn unerwartet naive oder einfältige Ansichten zu Politik, Gesellschaft und sozialen Problemen zu Tage treten.
Willman macht sich Gedanken über Zusammenhänge von ländlicher Arbeiterklasse bzw. Bevölkerung, Country Music und GOP (der republikanischen Grand Old Party). Auch hier zeigt er auf, ohne anzuzeigen. Er beschäftigt sich mit der besonderen Beliebtheit von Country Music im Süden der USA und der Nähe zu republikanischem Gedankengut, weist auf die zunehmende Neigung von Politikern hin, über bestimmte Musik an Wählerstimmen zu gelangen, und er geht ein auf Alternative Country, dem Zufluchtsort der Opposition in einem musikalisch und politisch zweigeteilten Land. In einem gesonderten Kapitel geht es um die Umstände und Folgen, die – zumindest in den Augen einiger Amerikaner – aus den beliebten und erfolgreichen Dixie Chicks übernacht Pariahs in bestimmten Kreisen der Gesellschaft machten, weil sie an Bushs Irakkrieg unpatriotisch Kritik übten. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Geschichte des Polit-Songs in der Country Music – und ein anderes widmet sich Merle Haggards Verbindungen zu Bob Dylan.
Festzuhalten bleibt nach der Lektüre von REDNECKS & BLUENECKS, dass es in der Branche sowohl Linke als auch Rechte Gesinnungen gibt (nicht überraschend), und dass stereotype Vorurteile gegenüber nur einer oder beiden dieser politischen Positionen der Country Music in Gänze nicht wirklich gerecht werden. Auch im Zusammenhang mit dem – manchmal übertriebenen – Patriotismus amerikanischer Künstler muss man relativieren. Nicht alle Patrioten und ihre Äußerungen sind automatisch dem Rechten Lager zuzuordnen. Eine andere Zuordnung, Rockmusik sei links und Mainstream Country Music rechts, ist in seiner Allgemeingültigkeit nicht zu halten, dafür sind gegenseitige Durchdringungen auf Künstlerebene zu deutlich und ebenso die eingetretene Wandlung der Szene in und außerhalb von Nashville.
Geschichten über bzw. Interviews mit u.a. Steve Earle, Travis Tritt, Kix Brooks, Ronnie Dunn, Toby Keith, Rodney Crowell, Ricky Skaggs, Willie Nelson, Merle Haggard, Kris Kristofferson, Clint Black, Drive By Truckers, The Dixie Chicks, Linda Ronstadt, Nanci Griffith, Roseanne Cash, Gretchen Wilson, Lee Ann Womack, Sara Evans, Alan Jackson, John Mellencamp, Tim McGraw, Buddy Miller.
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