Re: Country – eine reaktionäre Musik?

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tolomoquinkolom

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bullschuetzDie hier vor Jahren geführte Debatte hat dieser Tage eine Coda gefunden im Wilco-Thread – ein Interviewer hatte Tweedy gefragt, inwiefern er sich durch die Störgeräusche in seiner Musik bewusst von der „heimattümelnden“ US-Country-Szene (im folgenden: HUSCS) absetze. Tweedy hatte pampig reagiert.

Der politische Folk hat doch eine universellere Wertebasis, der Pop zielt immer auf einen internationalen Appeal, die „schwarzen“ Musikgenres, so konkret sie aus spezifisch amerikanischen Lebensumständen entstanden sein mögen, erlauben leichter die Transzendierung, Übersetzung, Übernahme, Aneignung […], während Country […] über die Musik eher einen abgegrenzten Raum zu definieren schien von Leuten, die einen gemeinsamen, vom andersartigen „Außen“ oder „Rest der Welt“ relativ klar unterscheidbaren Lebens- und Erlebnis-Horizont entweder tatsächlich teilten oder zumindest symbolisch beschworen. Und ich frage mich nun, ob ich da auf ein Einzelphänomen gestoßen bin oder sich da eben doch etwas Country-Typisches ausgedrückt hat.

Ich fand es schon seinerzeit hier im Ist-Country-reaktionär-Thread etwas verwunderlich, mit welcher Vehemenz da die Idee als Quatsch abgetan wurde, es könnten Tendenzen in der US-Country-Szene herrschen, die zumindest aus deutscher Perspektive verdammt hurrapatriotisch, schollenromantisch und ja, heimattümelnd anmuten. Natürlich ist nicht jeder Countrysänger ein übler Redneck. Aber ist der Eindruck, dass es da zum Teil doch deutliche Neigungen in diese Richtung gibt, wirklich so falsch? Natürlich ist Country keine „reaktionäre Musik“ – aber dass das klassische Country-Publikum deutlich bush-affiner ist als sagen wir die Besucherschaft eines Dylan- oder Springsteen-Konzerts, nehme ich vorläufig einfach mal als gegeben an (vielleicht kann/will ja jemand das Vorurteil widerlegen).

Dieser Eindruck ist kein Vorurteil, sondern eine zutreffende Beobachtung. Nur weil Zusammenhänge zwischen bestimmter konservativer Musik und konservativem Publikum nicht opportun scheinen, werden diese nicht unrichtig. Die bevorzugte Hinwendung zu Country Music ist partiell durchaus einem bestimmten Weltbild mit Wagenburgcharakter und ebenso einem benennbarem Bevölkerungsteil zuzuordnen. Die Gefolgschaft dieser Musik ist eher rückwärtsgewandt als zukunftsorientiert; der Wunsch nach Überschaubarkeit von Lebensumgebung, die Sehnsucht nach einfachen Antworten, obendrein eine Anfälligkeit für nostalgische amerikanische Elemente, bis hin zu Verknüpfungen mit pseudo-religiösen Einrichtungen sollen dabei helfen, eine zunehmend komplexer werdende Welt auszublenden.

Was die Reaktion im geführten Interview anbelangt, die durchaus auch als Betroffenheit gedeutet werden kann, dürfte Tweedy von der Fragestellung mehr überrascht als überfordert gewesen sein. Dem Interviewer ging es wohl um eine Stellungnahme des chronischen Migränikers zu Abgrenzungen in Bezug auf gewisse Verbindungen von Country Music (und deren Konsumenten) zu einem bestimmten Teil der heimattümelnden Republikanischen Partei (und deren Wähler). Vielleicht tauchte diese Frage auch auf, weil Tweedy dazu durchaus etwas hätte beitragen können, denn neben Ryan Adams (mit Whiskeytown) und anderen, war eben auch Jeff Tweedy (mit Uncle Tupelo; später Wilco) maßgeblich an einer Absetzbewegung zu Beginn der Neunziger Jahre beteiligt, die nichts mehr mit erzkonservativen Nashville-Gebahren zu tun haben wollte und sich Alternative Country nannte.

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