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Wenn jemand von Country Music schwärmt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er den Zusammenhang von Land und Leben und der Musik kennt oder sich dafür interessiert. Es geht oft um Vorlieben, Projektionen von Sehnsüchten bzw. um eine diffuse Abenteuerromantik, die auch den Marlboro-Mann populär gemacht hat. Aber stecken hinter diesen Symbolen noch irgendwelche Werte bzw. Ziele? Oder ist das Symbol bereits schon die ganze Geschichte? Stiefel, Hüte, Cowboy-Klamotten, Honky-Tonk-Posen, Pickups als Überreste eines Lebensstils? Country Music als verklärter Wunschmaschinen-Soundtrack einsam Suchender, die sich im 21. Jahrhundert verloren oder missverstanden fühlen? I’m so lonesome, I must cry?
Als Country Music ist nur das zu bezeichnen, was im Kern ein entsprechendes Vermächtnis bewahrt bzw. fortschreibt, sowie in einer nachvollziehbaren Linie auf seine Wurzeln, Gründerväter und Pioniere zurückführbar bleibt. Nur weil sich wider aller Vernunft das alles Gleichmachende, Einverleibende durch Marktmechanismen naturwüchsig durchsetzt, wird eine falsche Definition nicht richtig, für Musikfreunde nicht sinnvoll, da Stilbegriffe damit ihren definitorischen Wert verlieren und überflüssig werden. Wenn am Ende alles Country Music ist, ist nichts mehr Country Music. In Nashville wurde ab den 50er Jahren Honky Tonk und Western Swing weichgespült und mit Streichern zugedeckt. Ein erzkonservatives Image entstand, musikalisch wie textliche Klischees in Serie produziert, die auch patriotische und rassistische Ausflüge erlaubte, sie sogar forsierte (Merle Haggard und die Hippies). Was man heute als New Country andreht, ist nichts anderes als kommerzieller Mainstream-Pop. Knackärschige blonde Weißbrote mit Cowboyhut. Da hatten selbst die reaktionären Musiker der Old-Time Music bzw. Hillbilly von damals mehr Stil und ihre Songs zumindest erkennbar eigenen Charakter.
Wer sich auf Country-Charts bzw. die Playlists der Country-Radios verlässt und sich Selbsdefinitionen von einschlägigen Musikindustrieverbänden, der Manipulationsmaschine Nashville oder der blasierten Beweihräucherungstruppe der Country Hall Of Fame vorschreiben lässt, was Country ist, tut mir leid. Wer zudem behauptet Country Music sei der Soul des weißen Mannes, den kann man nicht mehr ernst nehmen. Dieses leicht durchschaubare Phantom unreflektiertem Fan-Tums ist verklärender, purer Cowboy-ismus und nicht akzeptabel. Wer Pseudo-Country-Helden wie Kristofferson, der eher ein Bohemien und Campus-Beatnik war, zur Country Music zählt, hat etwas nicht verstanden, oder er will es gar nicht. So jemand wird sich sicher auch keine Fragen stellen, weshalb Elvis Presley, Everly Brothers oder die Southern Rock Band Alabama in der Country Hall Of Fame auftaucht, Ray Charles dagegen nicht. Die IG der Country Music Association, die von jeher ihren Zuständigkeitsbereich überdehnt, selbstredend streng zielgruppenorientiert, sähe alle diese Zuordnungen auch gerne, denn es hilft erstens Käuferkreise, zweitens den Branchen-Organisationen ihren Einflussbereich zu erweitern.
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Lord, let me do a little more picking
Before I get my cotton weighed
And ramble around your footstool
Until the last song is played
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