Re: Country – eine reaktionäre Musik?

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sonic-juice
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tolomoquinkolom Diesem damaligen C&W-Hillbilly-Kram kann man Volkstümelei oder auch schlechten Geschmack, aber (den Songs selbst) nichts reaktionäres vorwerfen. Der Bezug stellt sich nur mit der betreffenden Bevölkerungsgruppe her. An der Grundthese Country ist weiß und dessen ausgrenzendem Charakter (in den frühen Jahren) erkenne ich keinen Fehler.

Zunächst muss ich sagen, dass auch ich mich – neben diversen anderen Aspekten Deiner Argumentation – insbesondere daran störe, dass Du viele unterschiedliche Spielarten der sog. „Country & Western“-Musik in einen Topf wirfst, um möglichst alle negativen Klischees unter einen Deckel zu bekommen. Bluegrass, Blue Yodel, Hillbilly, Western, Western Swing usw.

Um nur mal zwei prominente Beispiele herauszugreifen:

1. Bereits Jimmie Rodgers, der ja bekanntlich gerne als „father of country music“ tituliert wird und dessen musikalischer und thematischer Einfluss auf die nachfolgenden Musiker, die Du hier pauschal verunglimpfst, kaum überschätzt werden kann, hat in seinen Songs zum einen bereits ganz offensichtlich schwarze Musik verarbeitet, namentlich den Blues, und damit gleichermaßen nachfolgende schwarze Blues-wie weiße Folk- und Country-Musiker beeinflusst. Weil ich hier keine solideren Print-Medien zur Hand habe, erlaube ich mir mal das Wikipedia-Zitat:
„Rodgers influenced many later blues artists, among them Muddy Waters, Big Bill Broonzy, and Chester Arthur Burnett, better known as Howlin‘ Wolf. Jimmie Rodgers was Wolf’s childhood idol.“
Zum anderen hat Rodgers keine kleinbürgerlichen Idyllen und Klischees gezeichnet, sondern das Leben eines Hobos thematisiert – ein uramerikanscher Topos – und zugleich sehr persönliche Texte verfasst, am bewegendsten wohl in seinem Song „Whippin’ That Old T.B.” (gecovert von Country-Größen wie Ernest Tubb und Folk-Größen wie Ramblin Jack Elliot), in dem er sein Leiden an Tuberkulose besingt, die ihn früh zugrunde richtete.

Wenn Du bei Rodgers, dem blue yodeler, nun vielleicht anerkennen würdest, dass seinem Werk mit „Volkstümelei oder auch schlechten Geschmack“, „Ausgrenzung“ etc. massives Unrecht angetan wird, fällt m.E. Deine gesamte These wie ein Kartenhaus zusammen, da ihr das tragende Fundament fehlt.

Zudem: Die Themen, die man bei Johnny Cash und nachfolgend Merle Haggard etc. immer so herausstellt (Mord, Totschlag, Knast…) waren natürlich auch schon vor Cash in der Country-Musik prägend, auch insofern stimmt die Vorstellung von kleinbürgerlicher Volkstümelei in keiner Weise.

2. Bob Wills war der „King of Western Swing“ – ein Stil, den Du hier ja ebenfalls vors Gericht ziehst. Richtig ist, dass der Western Swing thematisch eher an Romantik und leichten Themen orientiert war, es war eben zunächst einfach Tanzmusik. (Für weiteres erlaube ich mir die Eitelkeit, an dieser Stelle auf meine früheren einschlägigen Ausführungen zu verlinken.) Aber natürlich ist der Western Swing musikalisch als Melange aus weißer Folk/Fiddle-Musik und schwarzem Jazz entstanden, Wills selbst hat sich immer wieder zu diesen schwarzen Vorbildern bekannt. Auch hier lässt es sich also nicht so einfach machen, wie Du es anfänglich vorhattest.

Dass in der von Dir angegriffenen Prä-Nashville-Phase von Hillibilly, Country, Western etc. auch viel seichtes, kitschiges und volkstümliches produziert wurde, steht außer Frage (ich bin selbst – jenseits des Western Swing – auch kein großer Freund der Western-Idylle und ihrer Protagonisten). Aber in der Zeit von Jimmie Rodgers über Ernest Tubb bis Hank Williams (danach fing ja schon bald die Herrschaft des Nashville-Imperiums an, die aber natürlich auch noch viel großartiges hervorgebracht hat!) ist im Bereich von Hillbilly, Honky Tonk, Bluegrass, Western Swing vor allem ein reicher Song-Katalog entstanden, der in seinen besten Momenten an Frische, Intensität und Aktualität heute noch nichts eingebüßt hat.

PS: Übrigens würde ich es begrüßen (nicht nur speziell an Dich gerichtet), wenn man die Begrifflichkeit Country & Western tatsächlich einfach als Oberbegriff für zwei eigene Genres ansehen würde, nicht als eigenes Genre wie „Rhythm & Blues“. Wenn es tatsächlich nur um/gegen die singenden Cowboys vor der Monument Valley-Fototapete gehen soll, dann stimmt der Begriff „Western“ (ohne Country) nach wie vor. Sonst wird es wieder unscharf. Bob Wills hat z.B. immer darauf bestanden, dass er Western Music spielt, keinen Country.

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