Re: Labyrinths – Irrlichts Alben-Faves

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irrlicht
Nihil

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Laura Marling // A creature I don’t know
Virgin Records

1. The muse
2. I was just a card
3. Don’t ask me why
4. Salinas
5. The beast
6. Night after night
7. My friends
8. Rest in the bed
9. Sophia
10. All my rage

The card, the muse, the beast

Als ich „A creature I don’t know“ zum ersten Mal hörte, war ich verblüfft: Es enttäuschte mich. Marlings drittes, lange angekündigtes Studioalbum ist anders, als noch seine Vorgänger. Es versprüht nicht die in sich ruhende Tragik und Erhabenheit des Vorgängers – gleichermaßen spart es sich aber auch die charmante, kunterbunte Kinderzimmerästhethik des Debuts, das Songs wie Erinnerungen in Setzkästen präsentiert, vom Mund ab. Irgendwann hatte der Wicky im Irrlicht dann aber genug an der Nase gerieben: Ja, natürlich, es ist auch Marlings wohl am freisten klingende Platte! Ohne Zweifel!

Es ist ein gedankenvolles, tiefschürfendes Werk geworden – mit „A creature I don’t know“ wagt sich Marling thematisch weiter hinaus, nach eigener Aussage entstanden viele Songideen durch Zitate in Büchern; so ist „Salinas“ von John Steinbeck inspiriert, „Sophia“ (die Göttin der Weisheit) fußt auf Robert Davies‘ Roman „The rebel angels“. Und doch und auch sonst: Marling ist hier ganz bei sich. Es ist ein introspektiver Rahmen, der hier um zehn Tracks gezogen wird – die Songs handeln von Sehnsucht, Heimatlosigkeit, von Einsamkeit („Rest in the bed“, „Don’t ask me why“), der Gefahr namens Nähe, von Liebe und Zweifel („Night after night“, „I was just a card“), Licht und Schatten allgemein – aber auch von Familie, von Widersprüchen, von eigener Undurchsichtigkeit („The beast“, „My friends“); freilich oftmals als Beobachter verfasst – und doch immer persönlich. „A creature I don’t know“ ist die Platte, bei der Marling ganz Herrin ihrer Kunst ist, erstmals („Well, I’ve got the confidence now, and I know what I want it to sound like, so before anybody else gets their grubby mitts on it, why don’t I put my stamp on it?“).

Das hört man: Ihr drittes Album atmet, ist bunt gestaltet und deutlich reicher instrumentiert, als man es – zumindest von „I speak because I can“ – gewohnt ist. Es klingt gleichermaßen abgeklärt, kämpfend und entschlossen, sinnsuchend, fast altklug, das Kind Marling ist hier verschwunden; hier klingt nun etwas anderes durch: Musikalisches Selbstbewusstsein, im ganz wörtlichen Sinne. Des öfteren werden Abfolgen entstellt, Songs ausgehebelt, Worte bewusst in Schieflage gesungen – das „gleam me blind“ in „The muse“ etwa, das Verschnupfte, mit dem der Titel in „Sophia“ zu Abschluss vorgetragen wird, das mit Nachdruck gesprochene „Will I ever see heaven again?“ in „Salinas“, das entschlossen aus der Reihe laufende „I was a child“ zu Ende von „Don’t ask me why“. Und die beißende Wucht, mit der sich in „The beast“ der Himmel klärt. Auch musikalisch: Bläser, Streicher, Klaviereinlagen, Banjorhythmen, sich auftürmende Gitarrentunes, infernalische Chöre, an Mitchell gemahnt, an Denny erinnernd, vor Cohen verneigend. „A creature I don’t know“ macht den Eindruck eines musikalischen Uhrwerks, bei dem die Zeiger immer mal wieder zu stocken beginnen und abrupt vorschnellen. Und generell Wendungen: In „Salinas“ staffeln sich Streicher nach oben, „Sophia“ geht von versonnener Ballade in Galopp zu Bandprofil über, „The beast“ reißt kurzerhand alle Dielen und Fenster aus den Innenräumen („He lies, he lies so sweet that I choke!“). Besonders schön ist aber „My friends“: Marling changiert zwischen klarer Altstimme, leichtem Hauchen, wie Fragen klingenden Gedankenfetzen, entschlossenen Einschüben – ein Seiltanz zu polternden Bässen.

Was man noch erwähnen sollte: „A creature I don’t know“ ist im Grunde ein gespaltenes Werk; die erste Hälfte stellt leichte und dennoch intensive Songs, die zweite ist fragil, mystisch zuteilen, romantisch und sinnierend. Aber ich mag die Pointe: Marling spitzt das Album mit jedem Song weiter an und schwebt spätestens mit „Rest in the bed“ in pochendem Scheinfieber – mit „All my rage“ fallen aber alle Gewichte ab. So singts dann auch aufrichtig: „I’d leave my rage to the sea and the sun! I’d leave my rage to the sea and the sun!. Mut, Demut, Anmut. „A creature I don’t know“ lehnt sich an Tradionelles an, klingt aber nie abgehangen. Ihr Gesamtwerk fällt aus seiner Zeit – und wird dadurch zeitlos. Laura Marling ist die größte Songwriterin, die wir gegenwärtig besitzen.

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Hold on Magnolia to that great highway moon