Re: Krimis – Empfehlungen und Warnungen

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nerea87

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Garry Disher

Der Australier Disher hat zwei Krimireihen geschrieben:

Die Wyatt-Romane und die Hal Challis-Romane

Die insgesamt 6 Wyatt-Romane drehen sich um den Berufsverbrecher Wyatt (immer nur ohne Vornamen), der jedes Jahr einige gut vorbereitete Diebstähle durchführt und den Rest des Jahres vom „Gewinn“ lebt. Die Beschreibung der Vorbereitungen seiner Coups, die er meist mit mehreren „Spezialisten“ zusammen durchführt, machen einen Teil des Reizes der Bücher aus. In Riffifi-Manier werden raffinierte Coups geplant und vorbereitet.

Die Romane setzen in dem Moment an, wo das Geschäft aus unterschiedlichen Gründen schwieriger geworden ist: Die zunehmende technische Aufrüstung auf Opferseite macht die Gelegenheiten seltener und schwieriger, nur noch selten wird mit großen Bargeldmengen umgegangen. Gleichzeitig muß Wyatt immer öfter mit Durchgeknallten aller Art zusammen arbeiten, was einem Profi wie ihm zuwider ist. Diese „Arbeitskollegen“ haben Drogenprobleme, Schwierigkeiten mit Ehefrauen und Freundinnen, Spielsucht, Schulden und sie wollen über alles mögliche quatschen. Dies führt dazu, dass Wyatt immer mehr in Abhängigkeiten gerät, die ihm verhasst sind.

Eine Gegenseite von Gut und Böse gibt es nicht, die Gegenseite der Fahnder, Polizisten, Rechtsanwälte und Gefängnisaufseher unterscheidet sich in ihren Problemen und Motiven nicht von den Verbrechern, sie vermischen sich sogar in vielen Fällen. Da gibt es dann einen wie eine Firma funktionierenden Betrieb einer Verbrecherfamilie, der Polizisten beschäftigt und es gibt Rechtsanwälte, die mit der Drogen und Schwarzgeldern handeln. Das führt leicht dazu, dass sich alle gegenseitig beklauen und reinlegen. Dabei geht es hart zu, Wyatt zögert nicht, zu töten, wenn er verraten wird. Die Berufskiller, die ihm immer wieder auf den Fersen sind, haben noch fiesere Methoden im Repertoire.

Über die 6 Romane wird so ein Panoptikum der australischen Gesellschaft gezeichnet, bei der der professionelle, nach nüchternen Grundsätzen handelnde Wyatt fast sympathischer wirkt als die brodelnde Menscheit der allüberall auftauchenden Amateure.

Und darin besteht der große zweite Aspekt des Reizes der Wyatt-Romane: Durch die Einsamkeit und Stille, die Wyatt umgibt, wirkt die übrige Gesellschaft mit all ihren Falschheiten, Schwächen und Sadismen um so bunter und eindrucksvoller. Alles in allem verliert man die Lust, nach Australien zu reisen. Dieser Gegensatz zur normalen Gesellschaft macht Wyatt im Verlauf der Romane immer mehr zu schaffen, er wird selbst immer „menschlicher“, was er daran merkt, dass er zunehmend Schwächen und Emotionen zeigt und sich in seinem Ausgestoßensein anfängt einsam zu fühlen.

Dazu kommen spannende Plots mit viel Action und Spannung, so dass Disher hier ein hervorragendes Lesevergnügen geschaffen hat. Und wie bei alle großen Krimiserien erzählt er mit den Geschichten über die Verbrechen auch viel über die Gesellschaft und die Menschen, die diese bilden.

Die nach den Wyatt-Romanen (so ca. 1991 bis 1997 erstveröffentlicht) enstandenen Hal Challis-Romane wechseln die Seite, aber nicht unbedingt die Perspektive. Im Mittelpunkt der inzwischen 4 Challis-Romane stehen der Inspektor Hal Challis und seine Leute, die auf der Mornington-Halbinsle südlich von Melbourne den Verbrechern auf der Spur sind. Der Befund ist ähnlich verheerend wie bei Wyatt der einer weitgehend entsolidarisierten Gesellschaft. Die Fälle sind meist etwas gemächlicher angelegt als bei Wyatt. Durch den Kunstgriff, dass Disher mehrere handelnde Hauptpersonen auf Fahnderseite beschreibt und mehrere parallele Handlungsstränge betreibt, wird die Perspektive der Unbehaustheit in der modernen Welt noch düsterer und umfassender. Da ist fast nirgendwo mehr Heimat, und als dann auch noch Pädophile ins Visier der Handlung geraten, grerät auch der letze mit Heimat verbundene Topos, die Kindheit, in Auflösung.

Willkommen zu Hause.

Positiv ist auch die von Disher vermittelte Authenzität hervorzuheben, es gibt eigentlich keine absurden Monströsitäten, wie sie zunehmend die skandinavischen Krimis (z.B. Dahl, Edvardson oder Mankell) bevölkern, sondern mehr, durchaus sehr grausame Verbrechen, wie sie überall täglich geschehen. Das macht das Schaudern vielleicht noch viel nachhaltiger.

Es wird auch nicht die Figur des dauerdeprmierten Fahnders strapaziert, der seit Monaten nicht richtig geschlafen hat und bei dem man sich wundert, warum er denn nicht Selbstmord begeht. Da sind Disher’s Figuren lebensechter, glaubhafter, besser, als fast alles, was ich in letzter Zeit in Skandinavien habe fahnden sehen.

Fazit: Anspruchsvolle, lesenswerte Krimis mit düsterem Hintergrund

Die englischen Originale sind fast alle nur antiquarisch zu Mondpreisen zu erhalten, so dass ich nur den letzten Challis-Roman auf Englisch lesen konnte, was ein großes Vergnügen war. Man muss aber die deutschen Übersetzungen loben, und vor allem auch mal den kleinen Maas-Verlag hervorheben, der zwar immer zwei Jahre länger als angekündigt braucht, um die Bücher zu veröffentlichen, hier aber einen wahren Schatz den deutschen Lesern zugänglich gemacht hat.

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...falling faintly through the universe...