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Ich hab mal ein paar Gedanken und Erinnerungen aufgeschrieben.
In den 1950er Jahren existierte vor allem deutscher Schlager, der zum Teil direkt an die heile Welt Schlagermusik der 30er und 40er Jahre anknüpfte, zum Teil aber auch das Fernweh der Deutschen zu jener Zeit und ihre Vorstellung von Exotik aufgriff. Musikalisch alles sehr harmlos und im besten Falle handwerklich gut gemachte Unterhaltungsmusik ohne großen Tiefgang und Anspruch.
Die ersten deutschsprachigen Rock’n’Roll Adaptionen hatten mit den US amerikanischen Vorbildern so gut wie nichts zu tun, jedenfalls nicht mit den wirklich wilden, aufrührenden und „gefährlichen“. Peter Kraus, Ted Herold etc. wurden denn auch von der Minderheit der am echten Rock’n’Roll interessierten Jugendlichen in Deutschland komplett abgelehnt.
Aber es gab natürlich in den 1950er und vor allem dann in den 1960er Jahren immer mehr Jugendliche, die auch selbst begannen, Musik zu spielen, Bands zu gründen. Deutsche Texte waren dabei – zumindest im Westen Deutschlands – die absolute Ausnahme und sogar verpönt. Mit der Schlagermusik der Eltern wollte man natürlich nichts zu tun haben und stattdessen die aufregend neue Musik, die vor allem die amerikanischen, aber dann auch die britischen Soldaten ins Land brachten, so originalgetreu wie möglich adaptieren. Von vielen Beatbands in den 60ern ist bekannt, dass sie zu deutschsprachigen Aufnahmen ebenso genötigt wurden wie übrigens auch ihre angloamerikanischen Kollegen, die für den deutschsprachigen Markt deutschsprachige Versionen ihrer Hits aufnehmen mussten, die dann fast immer in schöner Regelmäßigkeit floppten und heute als kuriose Raritäten gesucht sind. Zu den Gründen dieser Coverversionen Praxis – u.a. einer noch aus der Vorkriegszeit stammenden GEMA Regelung über die Verteilung der Tantiemen – habe ich schon einmal ausführlicher hier irgendwo Stellung genommen.
Dass trotzdem in den 60ern ein paar ganz gute, das Lebensgefühl der Jugend wiederspiegelnde, deutschsprachige Aufnahmen entstanden, ist unter den gegebenen Umständen eher ein glücklicher Zufall. Zu nennen sind vor allem Platten von Drafi Deutscher, Manuela und vielleicht noch ein paar andere einzelne Singles von verschiedenen Beat-Schlager-Sängern oder Sängerinnen; auch ein paar ganz wenige von Bands wie z.B. The Blizzards, The Black Stars, The Tonics u.a. Auch dazu gibt es irgendwo einen eigenen Thread.
Im Ostteil des Landes, also in der DDR, war die deutsche Sprache für Popmusik Produktionen verbindlich. Auch dort gab es natürlich eine Rock’n’Roll und Beat Bewegung, die von der Kultur Bürokratie zum Teil nur schwer zu bändigen war. Und live wurde sicher auch in der DDR anfangs fast nur Englisch gesungen (oder gar nicht, wie die legendären Big Beat Sampler beweisen). Aber Rundfunk oder Schallplattenproduktionen mussten vor Veröffentlichung abgenommen werden. Da Verbot sich etwas anderes als deutsche Lyrik quasi von selbst. Und so entwickelte sich in der DDR eine durchaus eigene Beat und Pop Szene, die zumindest teilweise ihren ganz eigenen Charme hatte. Vor allem die Gruppe Team 4 ist da zu nennen, von der es einige wenige Aufnahmen gibt, die musikalisch The Byrds und die frühen Beatles aufgreifen und textlich erstaunlich reif und anspruchsvoll wirken.
All diesen frühen besseren deutschsprachigen Beatmusik Produktionen ist gemeinsam, dass sie es ganz gut verstehen, den Rhythmus der deutschen Sprache dem Beatmusik Idiom anzupassen. Die Sprache wirkt hier weder fremd noch aufgesetzt, sondern ganz natürlich, wie bei einem originalen Stück angloamerikanischer Beatmusik. Eines sollte man aber dabei nicht vergessen, diese Sachen waren und bleiben zweite Wahl. Sie sind nie so gut wie eine originale Platte der Beatles, der Stones, der Kinks oder der Byrds, nicht mal der Monkees.
Gegen Ende der 1960er Jahre entstanden dann auch Bands, die wirklich etwas mitteilen wollten, etwas zu sagen hatten, denen es also wichtig war verstanden zu werden. Da gab es einerseits Ihre Kinder aus Nürnberg, die musikalisch dem Westcoast Rock verpflichtet waren, deren Songs einen ähnlich liedhaften Charakter hatten wie die einiger DDR Gruppen, und deren Texte statt von Liebe und typischen Teenager Problemen eher von gesellschaftlichen Außenseitern und politisch unbequemen Dingen erzählten. Andererseits gab es dann die echten Politrock Bands wie Floh de Cologne oder Ton Steine Scherben. Bei den Flöhen war die Musik nur Mittel zum politischen Zweck, aber die Scherben haben sich zu einer der besten deutschsprachigen Rockbands überhaupt entwickelt, obwohl ihre musikalischen Mittel eigentlich immer relativ begrenzt blieben und sie vor allem in den ersten Jahren auch nur die Stones und andere britische Bands kopierten.
Die deutschen Rockbands der frühen 70er Jahre lassen sich weder alle unter dem Krautrock Moniker vereinen, noch sangen sie mehrheitlich in ihrer Muttersprache. Ja selbst das was gemeinhin alles unter Krautrock abgelegt wird, hat miteinander musikalisch meist nur wenig zu tun. Amon Düül II, Hölderlin, Neu, Kraftwerk, Can, Wallenstein, Novalis, Birth Control, Guru Guru, Tangerine Dream, usw. – alles Krautrock!? Musikalisch jedenfalls sehr, sehr verschieden. Die deutschsprachigen Bands jener Zeit sind zu recht weitgehend vergessen heute. Jetzt komme mir keiner mit Julian Copes Krautrocksampler und den paar hundert (oder sind es eventuell sogar tausende?) Fans des Genres weltweit. Hölderlin, Novalis – schwülstiger, pseudo-tiefgründiger Quark, der auch musikalisch schwer zu ertragen ist. Einige wenige haben jedoch sogar international Aufmerksamkeit und Ansehen erlangt. Allerdings wohl nicht wegen ihrer Lyrics. Die Texte bei Amon Düül II (sowieso eher selten deutsch) spielen eine untergeordnete Rolle und werden spielerisch experimentell eingesetzt, der Gesang ist mehr Instrument als Überbringer einer Botschaft. Kraftwerk dagegen verbinden ihre plakativen und knappen Textaussagen sehr geschickt mit ihrer Musik. Bei ihnen bilden Text und Musik eine perfekte Einheit. Großer Fan der Gruppe und ihrer Musik bin ich trotzdem nicht.
Parallel zu Krautrock begannen – ausgehend von der wiederbelebten Folkszene und durch die politische Lied und Singe-Bewegung angestoßen – auch sogenannte Liedermacher (Singer/Songwriter im angloamerikanischen Raum) aufzutreten. Einige eher traditionell, andere mehr kabarettistisch, und wieder andere stärker an angloamerikanischen Vorbildern orientiert was Musik und Inhalte betrifft. Es gibt da ein paar ganz ordentliche Platten von Leuten wie Hannes Wader, Konstantin Wecker, später auch Manfred Maurenbrecher. Und in der Folge hat Udo Lindenberg dann tatsächlich den Deutschrock erfunden (die Scherben haben nie Deutschrock gespielt, sondern deutschsprachigen Rock, das ist ein wesentlicher Unterschied). „Andrea Doria“ ist aus heutiger Sicht ziemlich albern, und selbst Udos beste Platte „Ball Pompös“ hat doch mit der Zeit an Bedeutung und Wirkung verloren. Damals wirkte die Scheibe zweifellos erfrischend. Für den weitergehend Interessierten und Lokalpatrioten sind dann noch solche Gruppen wie Sparifankal aus Bayern oder die Gebrüder Engel aus Hamburg z.B. zu empfehlen. Auch die deutschsprachige Blues Band Das Dritte Ohr hat einen gewissen Charme.
In der DDR feierten zu jener Zeit die Puhdys, die Renft Combo (die aber 1975 verboten wurde), Panta Rhei, Elektra u.v.a. relativ große Erfolge mit angloamerikanischer Musik von Hardrock über Jazzrock bis Prog und deutschen Texten, die mal albern, mal subversiv, oft aber pseudo-bedeutungsschwanger waren.
Dann kam Punk und die Karten wurden wieder vollkommen neu gemischt.
Fortsetzung folgt.-
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