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Whitesnake – 1987 (1987)
Man mag Hair-Metal für vieles verantwortlich machen: für das Ozon-Loch beispielsweise, für die Grundsteinlegung der metrosexuellen Bewegung, ja sogar eine ganze Latte der größten Verbrechen der Musikgeschichte können diesem Genre problemlos zugeschrieben werden. Doch dass der kommerzielle Erfolg dieser Sparte maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sich manch grandiose Band selbst über den Jordan schickte, bleibt leider oft unerwähnt.
Whitesnake waren bis zu ihrem 1982 veröffentlichten Album „Saints & Sinners“ eine der besten und stilvollsten Hardrockbands Europas. Klar, David Coverdales Lyrik war auch damals schon lediglich für ein mitleidiges Kopfschütteln gut, aber sein kraftvoller, packender Gesang, das traumhafte Gitarrendoppel bestehend aus Micky Moody und Bernie Marsden, sowie die ehemaligen Deep Purple-Recken Jon Lord und Ian Paice waren über mehrere Alben hinweg Garanten für tolle Songs in der Schnittmenge aus erdigem Blues- und mitreißendem Hardrock. Die Band verkaufte ihre Platten gut und füllte auf Tour regelmäßig die großen Hallen des alten Kontinents – was wollte man mehr? Klar, die ganze Welt. So begann Bandchef Coverdale bereits bei den Arbeiten zum 84er Werk „Slide It In“ damit, sich dem Druck der Plattenfirma aber in letzter Konsequenz wohl dem Druck des eigenen Egos zu beugen und die Band auseinander zu pflücken und auf den amerikanischen Markt auszurichten. So richtig traute er sich aber noch nicht, erschien das Album doch in unterschiedlichen Fassungen. Europa wurde mit einer von Martin Birch „klassisch“ produzierten Version beglückt, während der US-Markt eine luftiger abgemischte, mit anderer Titelfolge versehene und nachträglich von Gitarrist John Sykes bearbeitete Variante erhielt. Das Konzept ging auf. „Slide It In“ war das erste Whitesnake-Album, dass in den USA ein wirklich nennenswerter kommerzieller Erfolg wurde. Davon beflügelt kannte Coverdale kein Halten mehr. So transformierte er Whitesnake gnadenlos in eine Söldnertruppe, deren personelles Wirrwar in den folgenden Jahren die Grenze zur Lächerlichkeit mehr als einmal überschritt. Musikalisch erfolgte eine radikale Anpassung an den US-Hardrockmarkt und auch optisch sprang der Haufen ohne zu zögern auf den haarigen Zug auf. Dies sogar dermaßen überzeugend, dass eine eigentlich europäische Band mit zum Inbegriff der Hair-Metal-Ära wurde.
Musikalischer Ausdruck dieser Prostitution war das Album „1987“ von – man höre und staune – 1987. Eingespielt von David Coverdale, Gitarrist John Sykes, Bassist Neil Murray und Drummer Aynsley Dunbar lässt das Album über fast die gesamte Spielzeit all das vermissen, was die klassischen Whitesnake einst auszeichnete. Feine Blues-Einflüsse? Fehlanzeige. Elegante Gitarrenarbeit und Moodys Slide-Guitar? Nicht mit Guitar-Hero Sykes. Ein souveräner und souliger David Coverdale? Iwo. Dieser drehte sein Machismo dermaßen auf, dass er auf dem Album nicht selten wie eine Karikatur seiner selbst klingt. Stimmen denn wenigstens die Songs? Die Songs? Nun, die sind unter den vielen Ärgernissen das größte. Ganze drei Nummern wissen zu überzeugen. Da mag sich manch einer denken, dass dies mehr ist als andere Bands auf ihren Scheiben zustande bringen. Vergegenwärtigt man sich aber, dass zwei dieser drei Songs Remakes von zum damaligen Zeitpunkt gerade mal fünf Jahre alten Bandklassikern sind, kommt man unweigerlich ins Grübeln. Die Neu-Einspielung von „Crying In The Rain“ zeigt hervorragend wie der Hase auf „1987“ hoppelt. Wo das Original von „Saints & Sinners“ mit seinem schweren Blues-Groove, den eleganten Gitarren und Hammond-Sounds, den dezenten Backing-Vocals und einem glänzend aufgelegten Coverdale eine Lehrstunde des klassischen Hardrock darstellt, ist das Remake ein überproduzierter Albtraum unter dessen massiver Soundwand man den eigentlich formidablen Song nur noch vermuten kann. Ein ohne Gespür für Groove riffender und gniedelnder John Sykes – ohne Zweifel ein hervorragender Gitarrist, der hier aber kilometerweit über das Ziel hinaus schießt -, eine viel zu metallische, jegliche Freiräume mit Sound erstickende Produktion und ein David Coverdale, der dermaßen penetrant keinen Zweifel daran lässt, dass er es nicht erwarten kann, seinen bestes Stück zu schwingen, zerballern die Nummer von der ersten bis zur letzten Sekunde. Es ist der Güte des eigentlichen Songs zu verdanken, dass hier kein vollkommenes Desaster zu hören ist. Mit der Neufassung von „Here I Go Again“ verhält es sich glücklicherweise etwas anders. Klar, das ultra-sülzige Keyboard anstelle Jon Lords Hammond-Orgel im Intro zu hören, ist für Puristen damals wie heute nur schwer zu verdauen, aber nimmt der Song erst mal Fahrt auf, kommt man nicht umhin zuzugeben, dass die stärkere Betonung des hymnenhaften Charakters und die Breitwandproduktion dieser Nummer gar nicht schlecht stehen. Dass die Popularität dieser Version, die des Originals bei weitem übersteigt, ist durchaus vertretbar. Von den eigens für „1987“ komponierten Songs weiß allein das ohne Zweifel fantastische „Still Of The Night“ zu begeistern. Hier macht die Neuausrichtung der Band Sinn und es fügt sich alles perfekt zusammen – David Coverdales exaltierter Gesang, John Sykes mächtiges Riffing, die Keyboardteppische und die mächtig-metallische Produktion vereinen sich in diesem bombastischen, messerscharfen, gnadenlos pressenden und perfekt auf den Punkt komponierten Song, der zu den definitiven Titeln des Hardrock zu zählen ist. Die übrigen Songs erreichen dieses Niveau zu keiner Zeit auch nur ansatzweise. Gleichgültig ob Rocker wie „Bad Boys“ und „You’re Gonna Break My Heart Again“ oder seichte Balladen wie „Is This Love“ – alles wirkt gefühllos runtergespielt und versinkt im Sumpf der Überproduktion. Unter dem Strich bleibt – zieht man die Neueinspielungen der alten Klassiker und die einzige gelungene Neukomposition „Still Of The Night“ ab – auf musikalischer Ebene nichts weiter übrig, als die Bankrotterklärung einer ehemals exzellenten Band. Kommerziell war „1987“ für David Coverdale dagegen der ganz große Wurf. Das Album stürmte weltweit die relevanten Charts und für ein paar Jahre durfte er sich zu den ganz Großen des Business zählen.
Dass das Ende für Whitesnake eigentlich schon mit „1987“ gekommen war, zeigte sich zwei Jahre später auf „Slip Of The Tongue“, welches den erbärmlichen Versuch darstellte, das Konzept seines Vorgängers eins zu eins zu kopieren, inklusive des erneuten Remakes eines alten Klassikers. Die Zugehörigkeit von Steve Vai zum damaligen Line-Up der Band mag zwar nur eine Fußnote sein, ein bezeichnendes Bild für deren Niedergang ist sie jedoch allemal, verkörpern sein Stil und sein Spiel doch das komplette Gegenteil von dem, was Whitesnake in ihrer musikalischen Blütezeit auszeichnete: erdige Kraft und bodenständige Eleganz. Glücklicherweise blieb „Slip Of The Tongue“ weit hinter den kommerziellen Erwartungen zurück, sodass dem unerfreulichen Schauspiel endlich ein Ende gemacht und die Band für lange Zeit zu Grabe getragen werden konnte.
Das Line-Up der Band, dass in den Videos zu „1987“ zu sehen ist:
Vivian Campbell, Tomm Aldridge, Rudy Sarzo, David Coverdale, Adrain Vandenberg.
Gitarrist John Sykes, Drummer Aynsley Dunbar und Bassist Neil Murray waren direkt nach der Veröffentlichung raus aus der Band.
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