Re: Hairy, Sleazy, Cocky

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skraggy

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Cinderella – Long Cold Winter (1988)

Betrachtet man sich das Cover von Cinderellas Debüt “Night Songs” ist ein vernichtendes Urteil verständlicherweise schnell gefällt. Selten ist eine Band für ein Plattencover plüschiger und affiger in Szene gesetzt worden. Die Songs dieser Scheibe passen da gut ins Bild: eingängiger und polierter (Hard) Rock, wie er in den 80ern von vielen Bands gespielt wurde. Das Einzige, was Cinderella zu Beginn ihrer Karriere ansatzweise von der Masse anderer Hair-Metal-Bands abhebt ist das raue und kehlige Organ von Sänger Tom Keifer, dass der Band einen gewissen Wiedererkennungswert beschert.
Bei dieser Vorgeschichte ist der mit dem 1988 veröffentlichten zweiten Album „Long Cold Winter“ vollzogene Bruch eine echte Überraschung. Lediglich das Bandlogo und der Albumtitel zieren das ansonsten vollkommen weiße Cover der Scheibe und für die Produktion wirft die Band fast allen unnötigen Ballast über Bord. So klingt das Album nicht mehr, als ob es in einem Flugzeughangar eingespielt wurde, nein, die Band gibt sich nun mit einer mittelgroßen Lagerhalle zufrieden. Geschuldet ist diese Neuausrichtung ohne Zweifel den Songs, denn musikalisch kommt auf „Long Cold Winter“ etwas zum Vorschein, dass sowohl den erdigeren Sound als auch die eher nüchterne und elegante Covergestaltung plötzlich stimmig werden lässt: eine dicke, pulsierende Blues-Ader. Das durch den akustischen „Bad Seamstress Blues“ eingeleitete, schwer rockende „Falling Apart At The Seams“ gibt ohne Zögern den Kurs für das Album vor. Immer wieder werden angesichts von Riff-Orientierten Knallern wie „Fire And Ice“, „Second Winter“ oder „The Last Mile“ Erinnerungen an frühe AC/DC wach. Doch auch die ruhigen Songs entsprechen der neuen Marschroute. Sei es das relaxte, seinen Titel sehr schön wiedergebende “Coming Home“, das traurige „Don’t Know What You Got“ oder der herzzerreißende, mit einer geschmackvollen Gitarrenarbeit versehene, Titelsong – jedes dieser Stücke besticht durch Sensibilität und lässt den üblichen Herz-Schmerz-Kitsch weit hinter sich. Bei so viel Klasse verwundert es kaum, dass sich auch das wie ein Überbleibsel aus der reinen Glam-Phase der Band wirkende “Gypsy Road“ aufgrund seines unverschämt cleveren Refrains, zu keiner Sekunde als Stolperstein erweist.
„Long Cold Winter“ ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Album. Zum einen ist es von der ersten bis zur letzten Sekunde wirklich gut – ein Prädikat, das sich bei Gott nicht jedes Album verdient. Zum anderen ist es der Beginn einer beachtlichen musikalischen Umorientierung einer Band, weg vom glitzernden Getöse hin zu – man verzeihe an dieser Stelle die abgedroschene Floskel – authentischen und ursprünglichen Klängen, die mit dem folgenden Album „Heartbreak Station“, einem geschmackvollen Gebräu aus Rock, Funk, Soul, einem Spritzer Gospel sowie Country & Western, ihren Höhepunkt erst noch erreichen sollte.

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