Re: CASH – American IV: Man comes around

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Eine Rezension von Christian Schachinger aus de Standard !!!!

Die Dunkelheit bekämpfen

Trotz schwerer Krankheit veröffentlicht der 70-jährige Countrysänger Johnny Cash am 5. November wieder ein neues, unter die Haut gehendes Album: „The Man Comes Around“.

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Christian Schachinger
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Wien – Im Februar feierte der schwer kranke Country-Sänger Johnny Cash seinen 70. Geburtstag. Mit seinem vor zwei Jahren erschienenen Album Solitary Man und Songs wie I See A Darkness war man auf einen würdigen Abschied vorbereitet. Anfang November jedoch wird sich Cash jetzt mit der Gänsehaut erzeugenden Songsammlung The Man Comes Around noch einmal zurückmelden.

Thematisch kreist Cash dabei einmal mehr den menschlichen Geist und seinen Über- lebenswillen ein. Vor allem auch reflektiert der gottesfürchtige Musiker dabei jene Reife und Kraft, die man aus der Krankheit und der Nähe zum Tod ziehen kann.

Vier lange Jahre wurde Cash nach jahrzehntelangen Kiefer- problemen und über 30 Operationen aufgrund falscher Diagnosen erst wegen Parkinson, später als am seltenen Shy-Drager-Syndrom leidend behandelt und musste immer wieder lange Zeit im Krankenhaus verbringen: „Jetzt heißt es plötzlich, ich hätte etwas in der Art von ,autonomer Neuropathie‘. Was immer das heißen mag – ich glaube, ich werde langsam alt und tattrig.“

Aus Schwäche . . .

Cash weiter: „Ich habe jedenfalls beschlossen, diese Krankheit mit reiner Willenskraft zu besiegen. Manchmal bin ich ins Studio gegangen und habe das Gefühl gehabt, keine Stimme mehr zu haben, aber ich habe gesungen, als ob es das Letzte wäre, was ich in dieser Welt machen kann. Und diese neuen Songs vermitteln dieses Gefühl, dieses Feuer, diesen Furor und diese Leidenschaft. Aus der Schwäche wächst die Stärke.“

Johnny Cash startete gemeinsam mit dem US-Rockproduzenten Rick Rubin (Red Hot Chili Peppers, Beastie Boys, Tom Petty, Danzig . . .) vor acht Jahren mit dem Album American Recordings ein damals in seiner emotionalen Tiefe einzigartiges und erschütterndes Alterswerk, das den längst im Out von peinlichen Country ’n‘ Western-Festen, Faschings-Winnetous im Publikum und ewigen Wiederholungen seiner größten Hits Ring Of Fire und I Walk the Line gefangenen Altvorderen der Countryszene völlig unerwartet vor allem bei einer jungen Hörerschaft populär machen sollte.

Auf das Notwendigste abgespeckte, großteils im Wohnzimmer oder im Studio mit minimaler Bandbegleitung entstandene Neudeutungen eigenen Materials aus beinahe 50 Jahren Karriere wie Delia’s Gone oder I’ve Been Everywhere standen dabei ebenso im Mittelpunkt wie Interpretationen geistesverwandter Schüler wie Beck, Nick Cave, Will Oldham oder U2.

Bei aller Kraft und allem Stemmen gegen die Krankheit, die hier zu hören waren: Mit einem eventuell vierten Teil von American Recordings wollte man sich nach Unchained und Solitary Man nicht mehr so recht vertraut machen. Allen Befürchtungen zum Trotz ist Cash allerdings noch einmal ins Studio zurückgekehrt. Und wie The Man Comes Around vor allem auch in seinem aus eigener Feder stammenden, erschütternden Gospel-Titelsong beweist, hat Cash dabei nichts von seiner Intensität verloren.

Mit Musikern wie John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers, Keyboarder Billy Preston, dem neuen R.E.M.-Schlagzeuger Joey Waronker oder der alten Bluegrass-Legende Randy Scruggs singt Cash mit einer würdig abgelebten Stimme darauf nicht nur alte Klassiker wie Give My Love To Rose. Auch die Streets Of Laredo werden hier ebenso noch einmal beschritten, wie Sam Hall und der Danny Boy angerufen werden – und am Ende mit We’ll Meet Again, dem alten Ink-Spots-Titel aus dem Abspann zu Stanley Kubricks Dr. Strangelove gen Himmel gefahren wird.

. . . wächst Stärke

Weit hinaus ins Ungewisse wagt sich Johnny Cash auch dieses Mal wieder bei der Aneignung von Material aus der Popwelt. Vor allem der tatsächlich unter die Haut gehende Junkie-Song Hurt („The needle tears a hole . . .“) von den US-Industrial-Rockern Nine Inch Nails erregte Cashs Interesse als Mann, der in seinem Leben auch so einige Probleme mit der Sucht hatte: „Das ist der beste Anti-Drogen-Song, den ich je gehört habe. Er handelt vom Schmerz eines Mannes und von dem, was wir alle bereit sind, uns selbst zuzumuten, und schließlich der Möglichkeit, das nicht mehr zu tun.“

Über die gute alte Bridge Over Troubled Water von Simon & Garfunkel und das am ehesten verzichtbare In My Life von den Beatles nähert sich Cash über eine beseelte Version von Depeche Modes Personal Jesus schließlich auch Hung My Head, einem Titel des britischen Edelpoppers Sting an: „Dort, wo ich herkomme, haben die Leute gern traurige Lieder. Sie handeln von Desaster und Tragödie, von Mord, Tod und dem Sterben – und gescheiterter Liebe. Dieser Song passt diesbezüglich optimal.“

Und weil das alles zum Weinen schön ist, folgt am Ende auch noch Nick Cave. Dieser singt in I’m So Lonesome I Could Cry endlich ein Duett mit dem Meister aller Klassen. Stürmen Sie am 5. November die Geschäfte. Und vergessen Sie nicht, auch Taschentücher zu besorgen: „And I heard as it were / The noise of thunder / One of the four beasts saying / Come and see – and I saw.“

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