Re: Chicago

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Registriert seit: 25.04.2007

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Tag zusammen,

mein erstes Post hier. Eigentlich bin ich nur auf Wusch von hakon hier, der ja meint, hier werde Chicago nicht genügend gewürdigt. Aber so schlimm finde ich es nun auch nicht. Als Fan dieser Art von Musik der ersten Stunde dann aber doch einige Anmerkungen.

Wenn man die LP 1 anno 1970 zum erstenmal gehört hat, dann war das schon eine Offenbarung. So was hatte es in dieser Form noch nie gegeben. Kombi von Bläsern und typischer Rockbesetzung, wobei die Bläser hier dem Rock gemäß einzigartig eingesetzt wurden. Meines Wissens hat das keine andere Band auf diesem Niveau geschafft. Blood, Sweat & Tears, die andere Mega-Gruppe war da wesentlich mehr am Jazz. Trotz allem waren die ersten Chicago-Alben immer so einer Art Fahrstuhlerlebnis, gerade schwelgte das Ohr noch in einer traumhaften Notenabfolge, dann kam der Bruch, schräg, provozierend. Fast hatte das etwas von Brecht. Bloß keine zu große Identifikation mit den Helden, hier der Melodie. Falls jemand Stan Kenton kennt, da haben es die Jungs wahrscheinlich her. Gerade die langen Gitarrensoli auf der CTA wären heute bei keiner Plattenfirma mehr durchzuboxen. Wahrscheinlich gäbe es aber keinen Stoff dieser Qualität mehr, um so was zu spielen. ;-)

Auch wenn das den ein oder anderen verwundern mag, aber Chicago gehört sicher zu den Highlights des Rock, eine der ganz Großen.

Hier werden die Balladen kritisiert und mit den alten Chicago hat das herzlich wenig zu tun. Von If you leave me now (Schnulze vor dem Herrn, aber man beachte bitte auch das Erscheinungsjahr 1976) über I´ve been searching, Hard to say … oder Hard Habbit to break, immer noch einer der schönsten und zugleich traurigsten Balladen bis zu den unsäglich langweiligen Dingen der Foster-Ära. Nur das wollte halt die Plattenfirma so. Ohne Balladen keine VÖ. So lief damals das Geschäft. Wenn man, wie die Musiker diverse Frauen & Kinder zu ernähren hat, der Besuch bei der Schneekönigin ist auch nicht ganz billig, dann läßt man sich doch schnell überzeugen. Außerdem hat man mit den Balladen das Herz bei den Mädels aufgestoßen. Frauen mögen das, für uns zwar vollkommen unverständlich [grins], aber sie träumen halt von Mr. Wright, vor allem die, die es noch unter 100 Männern schaffen die einzige Niete zu ziehen. [Doppelgrins]

Was muß man von Chicago haben? Nichts, wenn man die Musik nicht mag oder sagen wir es etwas anmaßend, einem das Verständnis für gute Musik fehlt. Aber wer ein geschultes Gehör hat, der möge sich doch bitte an folgenden Alben versuchen:

Chicago Transit Authority (1969)
Chicago II
Chicago V (mit Einschränkung)
Chicago VI (dito)
Chicago VII ( neben der 1 das beste Album, sehr vielseitig, fast von experentiell bis kommerziell)

Dann die beiden von Foster produzierten Alben 16 & 17. Es war zwar musikalisch nix neues, aber Foster, der heute mit Michael Buble (zwei schöne Bügelalben), Josh Groban (was für eine Stimme mit 20, unbedingt mal in sein Debütalbum in Ruhe reinhören) und Bocelli arbeitet, weiß wie man kommerziell erfolgreiche Alben produziert.

Tja, dann ist da noch die Big Band CD, gut, hat was. Die neue XXX? Produzent hat keine Handschrift, die Balladen 3-6 folgen der Celine Dionisierung der Pop-Musik, aber ohne dieses Zugständnis kein Plattenvertrag und der Rest ist ordentlich. Wer wirklich ein tolles Chicagoalbum hören möchte muß auf das Solo-Album von Keyboarder Robert Lamm, über die Jahre eh der beste Songschreiber und Sänger von Chicago, Subtely & Passion (2003)zurückgreifen. Da fast die ganze Band mitspielt, bekommt man eine ungefähre Ahnung, von dem, was möglich wäre.

Was jetzt die vielen mittelmäßigen Alben anbelangt, Musiker sind keine Machinen, die Kreativität auf Abruf über 38 Jahre produzieren können. Selbst Mozart hat seine Auftragskompositionen für fürstliche Kaffeekränzchen doch eher so dahingewixxt. Nur lobpreisen die Kritiker selbst das. Wahrscheinlich wissen sie bis heute nicht, wie sowas entsteht. Also ein bißchen Milde darf es bei der Beurteilung schon sein.

Halten wir fest, ohne Chicago wäre die Musikwelt um eine wichtige Facette ärmer und das die Band manchmal nicht genügend Würdigung erfährt, liegt hat daran, das Geschmack etwas sehr subjektives ist und Musikverständnis abseits des eigenen Geschmacks eben selten ausgeprägt ist. Die Kunst Musik zu beurteilen besteht ja gerade dahin, auch Dinge, die im eigenen Ohr nicht klingen trotz alledem halbwegs objektiv zu bewerten.

Welche Titel sind empfehlenswert:

Introduction (Stück 1 auf CTA, super Solo der Bläser in der Mitte und ein wuchtiges Gitarrensolo zum Ende gepaart mit der Stimme von Terry Kath, besser kann man ein Album nicht starten.

Does anybody really know …
Beginnings
Question 67 & 68 (vor allem der Mittelteil. Erinnert irgend wie an Up up and away von den 5th Dimension)

Wake up Sunshine (einfach gute Laune am Morgen)
Make me Smile
Jenny
No Tell Lover und und und.

Wer den Zugang zu Chicago findet, der wird sicher auch an Blood, Sweat & Tears, Steely Dan, Don Ellis, EW&F, Lighthouse (kanadische Gruppe 1971-1973), Tower of Power, Keef Hartley, Gino Vanelli (bis 1978), um nur mal einige zu nennen, sehr großen Gefallen finden.

Das war Post 1. Gegenwehr :fencing: oder die weiße Flagge? :bier:

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