Re: Elvis Presley

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patricia66

Registriert seit: 28.08.2010

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Interessante Diskussion, die Ihr hier führt. Glücklicherweise sind vor allem in den letzten 10 Jahren einige fundierte, gut recherchierte Bücher zu Einzelaspekten von Elvis Presleys Karriere erschienen. Sehr empfehlenswert finde ich z.B. Ken Sharps: Writing for the King, das die Aussagen von rund 130 Komponisten präsentiert, deren Songs Elvis Presley interpretiert hat. Das Buch enthält auch ein umfassendes Interview mit dem bekannten Musikverleger Freddy Bienstock, in dem dieser u.a. auf Elvis Presleys Auswahlverfahren von Songs eingeht. Ken Sharps Veröffentlichung macht durch die vielen 1:1 wiedergegebenen und unkommentierten Aussagen ganz unterschiedlicher Komponisten deutlich, dass Elvis Presley eben nicht vorgefertigte Arrangements nach Vorgabe umsetzte, wie hier in einem Posting ausgesagt wurde, sondern mit den Musikern eigene Arrangements erarbeitete, wobei er sich allerdings bei seinen Studioaufnahmen grundsätzlich mehr ins Zeug legte als bei Soundtrackalben.

Toningenieure und Musikproduzenten, u.a. Bill Porter und Bones Howe, haben darüber hinaus übereinstimmend ausgesagt, dass Presley sich im Grunde selbst produzierte, dies haben seine Musiker aus verschiedenen Karrierestadien neben weiteren Personen, die bei Sessions anwesend waren, ebenfalls bestätigt. Die früher im Studio üblichen Arrangeure wurden von Presley nicht genutzt. Presley himself called the shots, das darf heute als gesichert angesehen werden.

Was das Thema Unterdrückung und Benachteiligung afroamerikanischer Musiker und Elvis Presleys Vorteile aus dieser Situation angeht, kann ich Michael T. Bertrand: „Race, Rock And Elvis. How A White Take On Black Sounds Revolutionized Race Relations” von 2005 empfehlen. Ein sehr interessantes Buch eines Historikers aus den Südstaaten, in dem es nicht in erster Linie um Elvis geht, das aber eine Menge Zusammenhänge aufzeigt, indem es auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingeht, die in den Südstaaten zwischen 1935 und 1955 aufwachsende Amerikaner prägten. Dass Elvis Presley erstmals ca. 1957 (die berühmte „shoe shine“ Story“) und dann verstärkt ab den 1980ern von einigen Leuten vor allem in den USA als Symbol der Unterdrückung afroamerikanischer Musiker angesehen wird, sagt viel mehr über die immer noch spannungsreiche Beziehung ethnischer Gruppierungen in der amerikanischen Gesellschaft aus, als über Elvis Presley selbst, der nachweislich freundschaftliche Beziehungen zu einer ganzen Reihe farbiger Musiker (B.B. King, Jackie Wilson, James Brown, Sammy Davies Jun. und nicht zu vergessen seine Backgroundtruppe Sweet Inspirations) unterhielt, von denen keiner den Eindruck geäußert hat, er hätte sie in irgendeiner Form ausgebeutet oder diskriminiert – im Gegenteil. Zudem hat Presley den Einfluss afroamerikanischer Musiker auf seine Musik auch nie geleugnet, er hat aus der breiten Palette an Einflüssen auf seine Musik in Interviews nie einen Hehl gemacht und mehrfach ganz deutlich gesagt, dass er keine Songs schrieb, sie aber selbstverständlich selbst auswählt. Und ja, er erwähnte auch mehrfach Dean Martin und Mario Lanza als Vorbilder – manch einem rollen sich da die Fußnägel hoch, aber der Mann hatte nun mal eine breite Palette an Vorlieben ;-).

Diese ganz Diskussion um Elvis als den legitimen King of Rock ’n’ Roll halte ich ehrlich gesagt für fehlgeleitet. Es reduziert Presley im Grunde auf die Jahre 1956 bis 1959, wozu gerade Biografen wie die von Hopkins und Guralnick ganz wesentlich beigetragen haben. Einen Musiker, der aus sich selbst heraus so cross-genre wie Elvis (man siehe hierzu nur mal Sam Phillips Aussagen) war ausschließlich aus einer puristischen rockhistorischen Sicht zu interpretieren, wird ihm nicht gerecht. Sicherlich ist Guralnicks Biografie bislang noch die erträglichste, was allerdings nicht über die erheblichen Mängel in seiner Recherche und Darstellung vor allem der Jahre ab 1960 hinwegtäuschen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Musikhistorikern, die die Rise-and-Fall-Story Guralnicks (Rise = 1. Band, Fall = 2. Band) im Grunde widerlegt haben (darunter so bekannte Namen wie Wolfe, Frith, Pleasants, Middleton und Friedwald), indem sie auf die Kontinuität in Presleys Schaffen aufmerksam gemacht haben. Alle genannten haben über Presley „nur“ Essays geschrieben, die aber eins vollkommen richtig machen, sie orientieren sich fast ausschließlich, an dem, was in seiner Musik, seinem Gesang, seiner Technik zu hören ist. Auf diese Weise bringt jeder einzelne von ihnen Presley mehr auf den Punkt als Guralnick in seinen 1.300 Seiten.

Richard Middleton z.B. hat nicht nur Presleys Gesangstechnik genau analysiert und die Begriffe „romantic lyricism“, „boogification“ und „gospelization“ geprägt (gospelization, dies wurde hier ja auch gefragt, kommt in sehr vielen Titeln Presleys vor und ist eben nicht an den klass. Gospel gebunden, nur ein Bsp.: Milkcow Blues Boogie v. 1955), sondern auch eine ganz zentrale Aussage über Elvis und die Fusion „weißer“ und „schwarzer“ Musikstile getätigt, die diese Diskussion eigentlich längst beendet haben müsste. Demnach liegt Presleys Innovation weniger in dem kulturellen Mix aus weißen und schwarzen Musikstilen, die er mithalf hervorzubringen, sondern vielmehr darin, was er daraus machte.

Ganz ähnlich ausgedrückt hat sich Will Friedwald, der Elvis Presleys Originalität in erster Linie in der brillianten Art und Weise sieht, in der er Blues, Country und traditionellen Pop verband. Friedwald geht sogar noch weiter und argumentiert (wie 1974 vor ihm übrigens schon Henry Pleasants) sehr überzeugend, dass Elvis erst ab 1960 sein Können so richtig entfaltete. Was haben diese Leute Guralnick voraus, der im Vorwort zu den Complete Masters (Herbst 2010) übrigens selbst relativierend sagt, dass seine Biografie eine mögliche Interpretation sei und man dies natürlich auch anders sehen könnte? Die genannten Herren waren in der Lage über den Tellerrand eines einzelnen musikalischen Genres hinaus zu sehen, dadurch die künstlerischen Qualitäten Presleys umfassender einzuschätzen und dies ohne die sich zweifellos gut verkaufende, aber wenig konstruktive Pseudo-Tragik seines vorzeitigen Endes überzustrapazieren, die den Diskurs über ihn leider seit Jahrzehnten bestimmt.

Wem das alles zu viel ist, für den habe ich einen ganz persönlichen Tipp: einfach die Musik hören. Viel kann man bei Elvis eigentlich nicht falsch machen :-).

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