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16. Maurice Ravel – Rhapsodie espagnole
Geboren am 7. März 1875 in Ciboure, Département Pyrénées-Atlantiques als Sohn eines einfachen Ingenieurs wurde Maurice Ravel von seinem Kollegen Igor Stravinsky einmal als „Schweizer Uhrmacher“ unter den Komponisten bezeichnet, was sich auf Ravels außergewöhnliche Detailversessenheit und größte Sorgfalt bezüglich der Fertigstellung seiner Werke bezog.
Seine musikalische Ausbildung begann 1889 am Pariser Konservatorium und eine Weile hatte Ravel sich damit beschäftigt Pianist zu werden, doch es sollte nicht dazu kommen, da ihm zwar Gefühl und Ausdruck im Spiel bescheinigt wurde, dieses aber niemanden längerfristig wirklich begeistern konnte, eine Einschätzung die sich auf die Motivation des jungen Studenten auswirkte, die bald in Faulheit umschlug, was seine Lehrer in Ärgernis versetzte, was widerum noch mehr dazu führte, dass sich Ravel zurückzog, ein Teufelskreis der solange anhielt, bis er in den Jahren 1893, 1894 und 1895 konsequent in den Zwischenprüfungen durchfiel und die Klasse verlassen musste.
Für den Rest seines Lebens würde Ravel sich nur noch widerwillig ans Klavier setzen, höchstens um ein paar eigene Kompositionen zu spielen.
Bekannt dürfte die „distanzierte Freundschaft“ zu dem bereits hier vorgestellten Claude Debussy sein, dieser wurde in Anlehnung an die Strömung der Malerei dem musikalischen Impressionismus zugeordnet, zu der formal auch Ravel gehören würde hätte er nicht im Zuge seiner gerne getätigten zynischen Wortlaute auf die Frage seiner Stilzugehörigkeit vermerken lassen:
„Überhaupt keiner, ich bin Anarchist“.
5 Mal sollte der Musiker sich um den „Prix de Rome“, dem bedeutendsten Preis für junge französische Komponisten bewerben, doch jedes Mal fiel er durch.
1901 erhielt er zumindest den dritten Preis, in seinem letzten Versuch 1905 kam es zu dem Vorfall, der heute immer noch den Titel „Ravel-Affaire“ trägt, da sein dortiges Ausscheiden alleine durch „zahlreiche Verstöße gegen Satz- und Kompositionsregeln“ begründet wurde und unteranderem eine handfeste Diskussion darüber auslöste, nach welchen Regeln der ganze Wettbewerb eigentlich aufgebaut worden war, die im Rücktritt des Konservatoriumdirektors führte.
Der Schriftsteller Romain Rolland fasste die Rolle Ravels dabei gut zusammen, als er schrieb:
„Ich vertrete in dieser Affäre absolut keine Interessen. Ich bin kein Freund Ravels. Ich kann sogar behaupten, dass ich persönlich seiner subtilen und raffinierten Kunst keine Sympathie entgegenbringe. Aber der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass Ravel nicht nur ein vielversprechender Schüler ist, er ist heute schon einer der meistbeachteten jungen Meister unserer Schule, die nicht viele davon aufzuweisen hat. (…) Ravel bewirbt sich um den Rompreis nicht als Schüler, sondern als ein Komponist, der sein Können bereits unter Beweis gestellt hat. Ich bewundere die Komponisten, die es gewagt haben, über ihn zu urteilen. Wer wird nun über sie urteilen?“
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Auf das Jahr 1901 wird mittlerweile Ravels erste Begegnung mit Debussy geschätzt. Sie waren sich musikalisch einigermaßen freundlich zugetan, hielten aber wie bereits gesagt, ebenso freundlich Distanz zueinander auf einer persönlichen Ebene.
Bereits 5 Jahre später sollte es aber bereits zum großen Bruch kommen, nachdem ein Musikkritiker angemerkt hatte, Ravel täte eigentlich nichts weiter als Debussy zu kopieren.
Tatsächlich lässt sich im Bereich der Themenwahl für einzelne Werke der beiden Komponisten eine beinahe nur noch schwer zufällig zu nennende Gleichheit feststellen. Genannt werden in diesem Zusammenhang gerne die 1892 von Debussy veröffentlichten „Quatour à cordes“. 1902 zog Ravel mit einem Werk des exakt selben Titels nach.
1915 erschienen desweiteren seine „Trois Chansons pour chœur mixte“, deren dritter Satz die Bezeichnung „Ronde“ trug, was Debussy im selben formalen Aufbau bereits 1904 unter dem Titel „Trois Chansons de France“ mit einem „Ronde“ im ersten und gleich wie Ravel im dritten Satz geschaffen hatte.
1909 veröffentlichte Ravel ein „Menuet sur le nom de Haydn“ und ohne davon zu wissen brachte Debussy im gleichen Jahr seine „Hommage à Joseph Haydn“ heraus.
Vier Jahre später kam es schließlich dazu, dass beide unabhängig voneinander unter dem Titel „Trois Poèmes de Stéphane Mallarmé“ Gedichte des genannten Poeten vertonen wollten, von denen sich zwei ausgesuchte Stücke in beiden Werken überschnitten.
Debussy klagte in einem Brief an einen Freund vom 8. August 1913:
„Die Geschichte mit der Mallarmé-Familie und Ravel ist alles andere als lustig. Und ist es nicht außerdem merkwürdig, dass Ravel ausgerechnet dieselben Gedichte ausgewählt hat wie ich? Ist das ein Phänomen von Auto-Suggestion, das es wert wäre, der medizinischen Akademie mitgeteilt zu werden?“
Im Bereich der eigentlichen musikalischen Plagiate ist man sich allerdings klar einig, dass beide Komponisten sehr individuelle Persönlichkeiten waren, was sich auch in der letztendlichen Umsetzung ihrer gewählten Themen niederschlug.
Beide werden, wie bereits geschrieben, dem Impressionismus zugezählt, doch Ravel gilt als melodischer und klarer, er verwendet in sich geschlossene Formen und häufig Tänze (siehe Bolero) während Debussy des öfteren ins „Uferlose“ improvisiert.
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Kommen wir nun aber zur eigentlichen Sache.
Die in den Jahren 1907/08 komponierte Spanische Rhapsodie reflektiert das musikalische Erbe, das Ravel von seiner baskischen Mutter erhalten hatte, indem sie das Kind mit traditionellen Volksliedern ihrer Heimat durch das Vorsingen selbiger bekanntgemacht hatte. Auch der Bolero und die Oper „L’heure espagnole“ basierten auf diesen Erfahrungen.
Ravel widmete die Rhapsodie Charles Wilfrid de Bériot, dem Sohn des belgischen Violinisten Charles Auguste de Bériot und am 15. März 1908 kam es zur Uraufführung des Werkes im Rahmen der von Edouard Colonne geleiteten „Concerts Colonne“.
Die sofortige Resonanz war geteilt bis offen negativ. Das Publikum hatte angesichts des Titels etwas völlig anderes vorgestellt und sah sich sehr getäuscht bis Unruhe und erste Pfiffe aufkamen, was solange anhielt, bis sich der im Publikum befindliche Florent Schmitt vom Sitz erhob und rief: „[Spielt] Noch einmal für die da unten, die nichts kapiert haben.“
Tatsächlich kam das Orchester diesem Ruf nach und das Werk wurde ein wenig wohlwollender aufgenommen. Trotz aller Querellen fand das Stück sofortiges Gefallen beim spanischen Musikerkollegen Manuel de Falla.
Die Rhapsodie besteht nun formal aus vier Teilen und dauert im Schnitt 15 Minuten:
— Prélude à la nuit: très modéré
— Malaguena: assez vif
— Habanera: assez lent et d’un rythme las
— Feria: assez animé.
Den Feria-Schluss-Satz haben wir bereits am 19. Januar gehört und ist mit Sicherheit wohl der eingängigste Satz des ganzen Werkes. Allgemein kann ich die wohl negative Auffassung des genannten Publikums trotz der klar vorhandenen Sperrigkeit des Werkes nicht verstehen und schließe mich uneingeschränkt de Fallas Urteil an:
Die Rapsodie espagnole überraschte mich durch ihren spanischen Charakter. […] Wie aber sollte ich mir diesen so subtil authentischen Hispanismus des Komponisten erklären[…]? Ich fand rasch die Lösung des Rätsels: Ravels Spanien war ein idealisiertes Spanien, wie er es durch seine Mutter kennengelernt hatte. […] Das erklärt wohl auch, weshalb sich Ravel seit seiner frühesten Kindheit von diesem Land angezogen fühlte, von dem er so oft geträumt hatte.“
Ich habe eine Aufnahme der eloquence-Reihe mit dem Boston Symphony Orchestras und Charles Kavaloski am Solohorn unter Seiji Ozawa , auf der sich auch gleich der Bolero und die Valses nobles et sentimentales befinden.
hier für Klavier
Die ersten drei Sätze
Der Schluss-Satz
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