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katharsisNoch etwas zur „Rheinischen“ von Schumann:
War es die dritte oder die vierte Sinfonie, die Brahms übersprudelnd zu Beginn des Poco allgerettos seiner 3. Sinfonie zitiert hat?
Aus musikwissenschaftlicher Sicht ist mit Sicherheit interessant zu erwähnen, inwieweit Brahms seinem musikalischen Freund und „Behüter“ durch einige Anspielungen innerhalb seiner Sinfonien Remineszenzen erwiesen hat.
Ich habe momentan weder die Schumann-Sinfonien hier, noch die entsprechenden Bücher, vielleicht kannst Du, liebe Clara noch etwas dazu schreiben?Ich würde Dich auch noch darum bitten wollen, einige Tips für Einspielungen zu Schumanns Sinfonien anzugeben, da ich gemerkt habe, dass dieses Werk sehr davon lebt, wie es gespielt wird.
Ich habe selbst nur eine Einspielung mit St.-Martin-in-the-fields unter Marriner, die zwar sehr romantisch und adäquat spielen, aber denen manchmal der rechte Drive fehlt, um der Musik Spannung einzuhauchen, ausser wenn die geschriebene Musik sich gerade selbst trägt.
Außerdem macht der reduzierte Orchesterklang evtl. ebenfalls einiges aus…
Hallo katharsis, ich komme nun endlich zur Beantwortung deiner Frage, zumindest versuche ich mein bestes.
Zuerst, mein Interesse an Robert Schumann wurde noch ein wenig subventioniert, bei Brahms und allen anderen Nachfolgenden stehe ich alleine da, d.h., ich besitze ein paar rein musiktheoretische Bücher zu Schumann, aber noch keines zu Brahms. Was mir nun peinlich ist, ist dass ich meinen Reclamführer zu Schumann temporär nicht mehr finde.
Ich schieße nun also ein wenig aus der Hüfte.
Brahms hat in mehreren seiner Werke Referenzen an andere Künstler eingeflochten aus den unterschiedlichsten Gründen. Das prominenteste Beispiel ist klar das „Sampel“ aus der Neunten Sinfonie von Beethoven in Brahmsens Erster. Irgendwann in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts sagte Brahms:
„Ich werde nie eine Sinfonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen [also Beethoven] hinter sich marschieren hört.“
Ich habe bei der Vierten Sinfonie weiter vorne im Thread bereits beschrieben, wie Brahms zwischen die Mühlen der Konservativen und der Neudeutschen geraten ist, deren musikalischer Streit einzig darauf beruhte, dass jede Seite den Alleinanspruch auf das kompositorische Erbe Beethovens erhob, die einen eben durch das Wahren der Traditionen, die anderen durch einen Aufbruch zu neuen Ufern. Schumann holte Brahms ganz klar auf seine Seite, setzte seinen Zögling durch sein In-Den-Himmel-Heben im Neue Bahnen-Aufsatz jedoch unbewusst unter Druck, denn Brahms sah sich seiner prophezeiten Aufgabe als drittes B in der Reihe Bach-Beethoven-Brahms nicht gewachsen.
In der ersten Sinfonie, die zwölf Jahre Arbeit gebraucht hat, flocht Brahms nun Teile der Ode An die Freude ein, und die Deutungen darüber reichen heute von der Annahme dass dieses Zitat eben Ausdruck seiner Verzweiflung und Angst vor dem Sujet der Sinfonik ist, bis zur „einfachen“ Ehrerbietung, denn Brahms war sehr wohl großer Bewunderer von Beethoven.
Eine andere Sache ist die Beziehung von Brahms seinem Ziehvater Schumann gegenüber, den er natürlich persönlich kannte, bis hinein in dessen letzten Tage in Endenich. Abgesehen von ihrem tiefen gegenseitigen Respekt auf der musikalischen Ebene, bahnte sich da eine ebenso tiefe zwischenmenschliche Bindung an und auf dieser Ebene deute ich auch die Remniszenzen, die Brahms an Schumann in seinen Werken machte.
Ganz allgemein sieht die Musikwissenschaft heutzutage Brahms verdient als eigenständigen Fixpunkt an, er selbst allerdings stellte sich klar in den „Dienst“ der Vergangenheit, besonders heilig war ihm eben das Andenken an Robert Schumann.
Bereits 1861, also vor der dritten Sinfonie, veröffentlichte Johannes Brahms unter dem Titel Opus 23 eine „Variation über ein Thema von Robert Schumann in Es-Dur“. Dieses Thema in Es-Dur war nichts anderes als die in diesem Thread bereits vorgestellten „Geistervariationen“, dem letzten Werk Schumanns, das seine Witwe Clara an Brahms weiterreichte, mit den Worten: „Du weißt, die Variationen sind uns ein trauriges, aber heiliges Vermächtnis – ich gab sie Dir, so geschah es in der Voraussetzung ( die mir Dein Versprechen bestätigte ), daß Du nie irgendeinen Gebrauch davon machen würdest.“
Bezüglich dem Sinfoniezitat kann ich im Moment keine genaue Aussage machen, ich höre das Poco Allegretto von seiner Stimmung her näher an der Vierten, aber mir fehlt eine eindeutige „wissenschaftliche“, zweite Meinung.
Zu deiner anderen Frage. Die meisten Platten-Tipps hole ich mir selbst übrigens bei www.klassik.com. Im Moment habe ich eine Aufnahme mit dem Radio Sinfonieorchester Wien, die mir allerdings, wenn ich sie auf dem PC abspiele seltsamer Weise als Cover eine Einspielung von Beethovens Neunter anzeigt.
Für empfehlenswert halte ich defintiv diese hier, nicht ganz weil man die erste und die dritte zusammengenommen hat, aber von der Aufnahme d.h. der Klangqualität an sich.
Ich hoffe nun, dieser Roman war a) nicht zu lang und b) eine Antwort. :angel:
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