Re: Freejazz

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fef

Registriert seit: 05.04.2010

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Colemans Rhythmik verstehe ich so: Offenbar gibt es bei ihm Themen, die sich nicht recht in ein Takt-Schema einfügen, aber die Themen dienen in ihrer Struktur ja nicht als Improvisationsgrundlage (es wird ja nicht über 11 1/2 Takte lange Zyklen improvisiert). Während der Improvisationen in Blues Connotation kann ich zum Bass-Spiel ganz einfach passende 8er Zyklen zählen. Auch bei den Golden-Circle-Aufnahmen spielt die Rhythmusgruppe nach meinem Dafürhalten einen eher einfachen, swingenden Rhythmus. Und was Colemans eigens Spiel angeht, schrieb Jost (Free Jazz): „Ornette Colemans Rhythmik ist – verglichen etwa mit der Charlie Parkers – im Prinzip einfach. Weitaus mehr als andere Jazzmusiker seiner Zeit spielt er über Takte hinweg gleichmäßig akzentuierte Achtel- oder Viertelgruppen oder einfache Patterns […], wie sie aus dem swing geläufig sind.[…] Diese rhythmische Einfachheit gibt der Musik Colemans gelegentlich etwas von der Naivität von Folksongs und verleiht ihr über alle tonalen und klanglichen Verfremdungen hinaus eine gewisse Ausgeglichenheit.“ (S. 65) – Hinsichtlich der Tonalität sagte Jost, Coleman verwende tonale Zentren. Bei tonalen Zentren bestehe wie bei Modi die Gefahr einer gewissen Statik, eine Tendenz zu Monotonie. Coleman weiche dem durch zeitweise tonale Nebenzentren sowie durch motivische Improvisation aus.

vorgartenich finde, dass sind drei grenzfälle. je nachdem, welche kriterien man zur grundlage nimmt, kann das alles auch anders eingeordnet werden (ich persönlich finde izenzon/moffet viel konventioneller als carter/williams und würde niemals sagen, dass carters bass williams‘ drums erdet oder verankert – das lösen die ja völlig flexibel…).
auf jeden fall haben sich alle drei formationen das bestimmt nie gefragt, ob diese alben jetzt „free jazz“ sind.
[…] „free jazz“ […] was ja erwiesenermaßen ein übergestülpter, dazu unglücklicher begriff ist, der eigentlich überhaupt nichts klärt […]

Ja genau!!!

Mir geht es um die Fragwürdigkeit der üblichen Jazz-„Stil“-Kategorien und hier speziell des Begriffs „Free Jazz“.

Ich finde die Golden-Circle-Aufnahmen rhythmisch keineswegs „free“, sondern traditioneller als die von Davis und Coltrane. Und harmonisch: Coleman klingt wohl irgendwie schräg, aber absolut nicht „atonal“ – in gewisser Weise sogar einfach und unbedarft. Bei Davis ist in dieser Phase meines Wissens von „chromatischer“ Improvisation die Rede (bei Ian Carr las ich das, glaube ich) und ich verstehe das so, dass nicht nur ohne Akkord-Bezug, sondern auch ohne Modi improvisiert wird – dass also praktisch jede Note gespielt werden kann, die man passend findet. Davis mag dabei eher weniger schräge Töne gewählt haben, aber wesentlich weniger „frei“ als Colemans Musik kommt mir seine nicht vor. – Bei Coltrane glaube ich, bereitet die Rhythmusgruppe eine modale Basis, aber Coltrane macht darüber extrem komplizierte Sachen, und in Pursuance finde ich, dass seine Phrasen ziemlich nach Auflösung klingen – weit mehr als beim eher bodenständigen Coleman.

Oder: Die beiden „Free Jazz“-Pioniere Coleman und Cecil Taylor sind doch sowas von verschieden! Ein halbes Jahrhundert nach ihren Innovationen in den 1950er Jahren können die doch noch immer nicht zusammenspielen, oder? Ich nehme an, die haben einen grundsätzlich sehr unterschiedlichen Zugang. Kann man da wirklich sagen, dass sie in der selben Stil-Kategorie spielen?

Oder David Murray: Sein Ton klingt (zwar zunehmend weniger, aber doch) immer wieder „free“, aber selbst die überblasenen Töne sind doch tonal und auch in anderer Hinsicht höre ich wenig, das wirklich „free“ ist. Dennoch sind wir einfach gewöhnt, ihn als Free-Jazzer zu betrachten.

Ich denke mir also: Es gibt zweifelsohne die wilden Free-Sachen (kreischende Saxofone usw.), bei denen klar ist: das ist „Free Jazz“! Diese Sachen sind eher auf eine gewisse Phase der Jazz-Geschichte bezogen. Aber es gibt dann eben noch viel mehr, bei dem eine tonale Erweiterung und rhythmische Vieldeutigkeit stattfindet, die nicht wirklich stilistisch einordenbar und abgrenzbar ist.

gypsy tail wind … Miles hat sich schon Gedanken gemacht und würde sich wohl heute noch im Grabe umdrehen, wenn man seine Musik mit Free Jazz in Verbindung bringen würde :-)

Ornette Coleman soll es auch nicht recht gemocht haben, als „Free Jazz“-Musiker angesehen zu werden (las ich bei Litweiler).

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