Re: Gibt es objektive Kriterien für die Beurteilung von Rock/Popmusik

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pelo_ponnes

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Unter die objektiven Bewertungsmaßstäbe würde ich folgende einsortieren:

Musikalische Qualität – sicher bei Klassik und Jazz jeweils anders als bei Popmusik zu bewerten; ich verstehe darunter z.B. die Komplexität der musikalischen Struktur (wobei niemals Komplexität um ihrer selbst willen gemeint ist – es gibt simples, das schwierig klingt um zu beeindrucken (vieles im Prog) oder äußerst komplexes, das sich regelrecht in die Gehörgänge einschmeichelt (z.B. Mozart oder Burt Bacharach), Melodienreichtum, rhythmische Komplexität, Beherschen des Instrumentariumns und des musikalischen Materials, Vermeiden von Klischees, etc.

Authentizität – ist die Musik zum Zeitpunkt des Entstehens glaubwürdig und aus dem eigen Erleben gespeist, basiert sie auf Wurzeln, die der Interpret/Komponist verarbeitet und verinnerlicht hat, auch die sog. Street Credibility im Pop/Rock gehört dazu

Originalität – inwieweit trägt der Komponist/Interpret etwas neues bei, überwindet er seine Vorbilder oder wiederholt er nur Bekanntes

Bei Songs kommt die textliche Qualität dazu sowie das Zusammenspiel Text und Musik

Ich denke, es gibt objektive Parameter für eine beschreibende Analyse von Pop/Rockmusik.

– Texte: man kann sicher beschreiben, um welche Art von Texte es sich handelt: Liebeslyrik, sozialkritisch, surreal-vieldeutig oder konkret, lyrisch, minimalistisch usw.

– Songstrukturen: man kann die Songstruktur objektiv beschreiben. Handelt es sich um eine konventionelle Struktur mit Strophen und Refrain, oder gibt es lange Soloteile etc. Auch Akkordwechsel und solche Dinge sind feststellbar (wenn man Musiker ist).

– Ebenso kann man die Instrumentation recht objektiv darlegen oder über die Klangdichte (Bombast vs, spartanisch und alles dazwischen) einen Eindruck vermitteln usw.

– für Musiker ist sicherlich auch feststellbar, wie virtuos die einzelnen Instrumente gespielt werden oder wie gut die Band die Studiotricks beherrscht.

– Originalität ist auch noch relativ gut beschreibbar (wobei schon deutlich subjektiver) über Vergleiche mit anderen Bands.

– Authentizität ist für mich kein gutes Parameter. Warum muss Musik aus dem eigenen Erleben gespeist sein? Kann man nur über Dinge schreiben, die man selbst erlebt hat?Muss man verliebt sein, um den perfekten Liebessong zu schreiben? Ich finde nicht. Ich sehe den Song als etwas Eigenständiges an. Genauso gibt es immer wieder den Vorwurf, ein Song sei kommerziell. Dabei gibt es bestimmt genug Komponisten, die selbst tatsächlich genau diese Art von Musik machen wollen und sich niemandem anbiedern wollten. Und selbst wenn Kompromisse eingegangen wurden. Ist das nicht egal, wenn mir als Musikhörer das Stück gefällt? Wenn ich vor lauter Begeisterung an die Decke springen muss, ist es mir ehrlich gesagt ziemlich egal, ob der Songschreiber selbst das Lied nur für einen Markt geschrieben hat oder für sich selbst.

Mit der Objektivität ist es aber spätestens zu Ende, sobald man sich auf die wertende Ebene begibt und die Einzelparameter versucht, zueinander in einen eindeutigen Bezug zu setzen. Bsp. Texte: In bestimmten Kreisen mag es wichtig sein, sozialkritische Texte zu haben. Andere sehen das aber völlig anders und bevorzugen surreale Texte oder legen überhaupt keinen Wert darauf. Der eine mag einen vollen Klang, der andere mag es spartanisch instrumentiert, dem dritten ist dieses Parameter womöglich völlig egal, da ihn vor allem die Melodie interessiert. Der eine liebt ausufernde Stücke, der andere mag die kompakten Dreiminutenstücke. Der eine liebt elektronische Keyboards, der andere kann sie nicht ausstehen usw.

Musikkritiken sollten deshalb meiner Meinung nach viel mehr die zu hörende Musik beschreiben, um erst danach eine bewusst als subjektiv zu kennzeichnende Meinung abzugeben.

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