Re: Europäischer Jazz

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gypsy-tail-wind
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„Seven Extraordinary Records That Changed the World“… ja ja, genau…

Der Autoverkäufer, der in den späten 60ern Jazz-Konzerte im Paradiso in Amsterdam organisiert (sonst traten dort v.a. Rock-Gruppen auf) und daselbst im Dezember 1968 und März 1969 mit Willem van Manen (tb), Maarten van Regteren Altena (b) und Co-Leader Han Bennink (d) sein erstes Album aufnahm: Heavy Soul Inc Live in Paradiso (1969). Auf dem in strengem (billigen? dennoch tolles Design!) gehaltenen Cover ist neben einem Bild der Band gross Ike Quebec zu sehen, einer von Dulfers Helden, Dulfer spielt wie er mit einem riesigen Sound, der allerdings streckenweise (gewollt) ungepflegt, ja hässlich klingt und an den Rändern ausfranst. Bennink und Altena geben alles, van Manen, den ich sonst nicht kenne, gelingt es, neben Dulfer zu bestehen. Ein leicht verspätetes Free-Album aus Europa… wunderbar!

Ein sehr schönes Zitat (derzeit meine Signatur) findet sich auf dem Boden der Box: „Having a good rhythm section, playing loud and flabbergasting your audience. That’s what it’s about.“

Das gibt wohl die Spielhaltung Dulfers sehr gut wieder, auch seine offene Haltung (von Ekklektizismus mag ich da gar nicht reden, das passt nich zu seiner hemdsärmeligen Art) gegenüber allerlei Stilen… auf dem zweiten und dritten Album hört man denn auch eine gänzlich anders geartete Musik, gespielt von Hans Dulfer and Ritmo Naturel.

Im Februar 1970 enstand The Morning After the Third (1970) mit dieser Band sowie dem Gast Jan Akkerman an der elektrischen Gitarre. Dulfer klingt nie gekünstelt wie Gato, aber doch ist dessen Latino America und die Flying Dutchman Alben aus derselben Zeit wohl der beste Vergleich. Mit Dulfer und Akkerman zu hören sind: Jan Jacobs (b), Arjen Gorter (elb,b), Steve Boston (cga,timb), John Grunberg (aka Groentjie) (timb,guiro,tb), Appie de Hond (d,timb,fibre slap) und Paul van Wageningen (d). Die Musik groovt sehr, in der leicht starren Rhythmik, die man mit all diesen Latin-Perkussionisten erwartet – innerhalb des Beats geschieht aber dauernd etwas, jedenfalls wird mir bestimmt nicht langweilig! Akkerman spielt rockige, Dulfer hymnische, streckenweise sehr freie Soli, die Bässe ergänzen sich gut und die Abwesenheit von Keys kommt auch gut (wäre sonst wohl überladen, die Musik… auf dem zweiten Album der Gruppe spielt dann allerdings ein Pianist mit, mal sehen…). Eins der Highlights ist die Passage auf „Dit Is Het Begin“, auf der Dulfer nur von Händeklatschen begleitet wird. Toll! Die Musik entwickelt streckenweise einen fast Trance-artigen Groove (auch da wundert es nicht, dass Dulfer später mit DJs und Samplern gearbeitet hat).

„This band consists of two negroes, a jewman, a white person and… Hans Dulfer.“ With this words percussionist John Grunberg, aka Groentjie – one of the negroes – used to explain to audiences what kind of band they were dealing with. The term „world music“ barely existed yet, but with his group Ritmo Natural Dulfer had created a type of band which in the seventies would become the new hip thing: multicultural, both in line-up and in sound. Not that there was a social or political philosophy behind it. It started out with a musical idea. Coincidence and Dutch colonial history did the rest. „My favorite tenorsax players like Gene Ammons and Willis Jackson made records with conga players on it. I loved that. The ongoing rhythm with the saxophone freewheeling over it. I thought that having a good heavy rhythm section would be the way to let me play free and weird stuff, with the music still sounding appealing to the audience.“ This has since been the core vision of all of Dulfer’s bands. Whether they are dance beats, speed metal riffs or hard driving funk grooves, they all serve as a backbone for the saxophonist playing as weird and way out as he feels like. „I don’t feel like playing all this sort of nicely crafted themes and compositions. Or maybe I just can’t, who knows. The thing is: I’m not interested.“

~ Koen Schouten, Liner Notes zu „Hans Dulfer – The Formative Years ’68-’98“, S. 5f.

Das dritte Album, Candy Clouds (1971), wurde im August 1970 aufgenommen. Anstelle von Akkerman spielt Dave Duba Gitarre, Rob van Wageningen gesellt sich an Tenor und Flöte zu Dulfer und Kees Hazevoet spielt Keyboards. Anstelle von Paul van Wageningen spielt Martin van Duynhoven Schlagzeug, die Bassisten und Perkussionisten sind noch dieselben. Die Gitarre ist gleich beim ersten Stück wieder sehr präsent, die Grooves klingen etwas weniger nach Latin, mehr nach Rock (Santana?), die beiden Bassisten (beide am Kontrabass) spinnen wieder ihr Netz. Insgesamt klingt die Band kompakter, intensiver, Dulfer steuert auch einige sehr wilde Soli bei. Das zweiteilige Titelstück ist natürlich seiner neugeborenen Tochter Candy gewidmet (mit deren weichzeichner Disco-Funk ich nie viel anfangen konnte… give me Maceo!), zudem ist das letzte Stück, „Red, red Libanon“ anscheinend das erste holländische Stück, das auf Drogen bezug nahm (so die Liner Notes von Schouten, S. 7 – mehr dazu z.B. hier, eine Google-Suche wird auch rasch Tips an den Tag bringen, in welchen Coffeeshops in Amsterdam Ihr das beste Red Libanon finden könnt…).

Auch dieses schöne Cover möchte ich Euch auch nicht vorenthalten:

On the cover of the record we see the band with Dulfer’s wife Inge and baby Candy. „It was fashionable then to make pictures on the beach. I’m wearing my suit, not because I thought it was cool but because I came straight from work selling cars.“

~ Koen Schouten, Liner Notes zu „Hans Dulfer – The Formative Years ’68-’98“, S. 8

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