Re: Johannes Brahms

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claraschumann

Registriert seit: 04.01.2007

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fuchsIch kenne das Wort von Beethovens Zehnter, aber halte es für falsch, wobei ich gestehen muss, dass ich Musik mehr über das Hören als über das Lesen erfahre.
Ich finde es gar nicht verkehrt, über Musik, die man sich über das Hören erschlossen hat, anschließend auch Sekundärliteratur zu lesen, aber möchte warnen vor allzu großem Ernstnehmen der Fachliteratur.
Musik berührt m.E. stets primär Seiten im Menschen, die sich einer Verbalisierung zunächst einmal entziehen. Auch hochgeschätzte Musikwissenschaftler tun meist nichts anders, als ihr subjektives Empfinden in scheinbar objektivierbare analytische Gedanken zu fassen.
Das muss man nicht teilen – es gibt keine allgemeingültigen Wahrheiten im Bereich der Kunst. Entscheidend bleibt der eigene Eindruck: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen.“

Hallo Fuchs, genau solche Posts habe ich mir für meinen Thread gewünscht! :sonne: Vielen Dank und Herzlich Willkommen im Forum zuerst mal.
Zur Sache: Musik ist und bleibt etwas, was sich über das Hören erschließt. Vollkommener Zuspruch dazu. Zumal Brahms selbst sagte: „In meinen Tönen spreche ich.“
Durch die Literatur versuche ich aber noch etwas mehr über den Menschen dahinter zu erfahren, so fern das eben möglich ist. Das meiste davon muss man natürlich mit Vorsicht und Abstand lesen. „War Felix Schumann in Wirklichkeit Brahms‘ Sohn?“ Hach ja… :-)
Ebenso bin ich aber eben auch der Meinung, dass auch geschriebene Worte zum richtigen Verständnis eines Künstlers beitragen können, nicht über dessen Musik oder Werk, aber eben über ihn selbst. Seitdem ich über Brahms, sowie über die Schumanns und auch Mendelssohn, Literatur besitze und gelesen habe, hat sich mir ein schlüssiges Gesamtbild über Mensch und Werk eröffnet, das es mir noch etwas leichter macht mich in das Werk „hineinzufühlen“ (mir fehlt hier ein besseres Wort :-) ).

fuchs
Und der eigene Eindruck war bei mir im Falle von Brahms 1. immer weit weg von „Beethovens Zehnter“. Bei Beethoven kann ich mich nie des Eindrucks erwehren, dass bei so gut wie allen seinen Werken im Hintergrund die Außenwirkung reflektiert und manchmal auch leeres Stroh gedroschen wird – er ist für mich der erste große Verpackungskünstler, der oft mit Versatzstücken arbeitet, mit rhythmischen Figuren, die sich gern wiederholen und Titanenhaftes generieren sollen – mehr Attitüde als tief empfunden.

Ganz anders Brahms 1. Klar, auch hier etwas Gewaltsames, Brachiales, aber: schmerzvoll – ein „Break on through to the other side“ – ein Wendepunkt, den er nur für sich selbst setzt, höchst privat, nicht für die Galerie wie Beethoven, der alte Showman.

Brahms war kein Showman, vollkommen richtig. Viel zu introvertiert und schüchtern. Und was war sein schroffes Auftreten wahrscheinlich anderes als der Versuch dieses zu überspielen?
Trotzdem war er es selber der Beethoven im Nacken sitzen spürte. Zu Joseph Joachim sagte er noch bezüglich der Ersten: „…hinter ‚Sinfonie von J.B. magst du noch einstweilen ein ? setzen.“
Dass er etwas völlig Eigenes geschaffen hatte, das natürlich in der Tradition der „alten Meister“ stand, aber eben durch das, wie du es bereits charakterisiert hast, wahrscheinlich etwas viel „Echteres“ bot, brauchte eine Weile um durch seine Selbstzweifel durchzudringen.
Ein entscheidender Fehler in seiner Einschätzung sich selbst gegenüber…

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