Re: Twang! Records

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mikko
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Hier nun die Geschichte meines Labels in 4 Teilen anhand der Liner Notes für die 4 Compilation CDs, die ich gemacht habe. Die 4 CDs kann man für 10 € Unkostenbeitrag inklusive Versand bekommen. Bestellungen nehme ich ab sofort per PN entgegen.

Eigentlich begann die Geschichte von TWANG! Records im Frühjahr 1967 in der Küche unserer Einzimmerwohnung. Da saß ich als 13-jähriger Beatfan jeden Abend vor meinem Bajazzo TS und dem kleinen japanischen Spulentonbandgerät, den Finger auf der Starttaste, und wartete auf neue aufregende Musik vor allem aus England und Amerika, während meine Mutter Stullen schmierte oder den Abwasch erledigte.
So steht es auf meiner Homepage seit vielen Jahren. Und so war es ja auch. Vom Schreiben über Musik kam ich Ende der 1970er Jahre dann auch zu ersten eigenen Versuchen als „genialer Dilettant“ am Revox Tonbandgerät und mit dem elektrischen Bass. Nachdem ich an meinem 27. Geburtstag mit dem Bass meine Endstufe im Wohnzimmer gekillt hatte, gab ich die Selbstversuche erstmal auf.

Dann lernte ich Päivi kennen, die bis heute meine liebe Frau und bessere Hälfte ist, und mit ihr auch ihren Bruder Esko, der damals in einer Schülerband in Finnland spielte. Die Jungs machten ziemlich Alarm mit Punk und Pop Musik und hatten in ihrem Heimatort Kalajoki am bottnischen Meerbusen auch etliche Fans. So sah ich meine Chance gekommen, den Traum einer eigenen Schallplattenproduktion doch zu verwirklichen. Das Label hieß da allerdings noch nicht Twang! sondern Magic Toe Nail, ein Name der auf einen schrägen Vogel aus meiner Teenagerzeit zurückgeht. Zauberfußnagel wurde dieser Typ von uns genannt Anfang der 70er Jahre, also Magic Toe Nail eben.

01. Pimeää – Intressi (FIN, 1983)
Die Band meines Schwagers hieß Intressi. Das heißt auf Deutsch Interesse und klingt auf Finnisch eigentlich nicht weniger bescheuert als Bandname. Aber sei’s drum. Die Jungs wollten gerne eine 12“ Single, weil die damals gerade schick waren. Also machten wir eine 12“ Single. Und auch sonst machte ich so ziemlich alles verkehrt, was man so verkehrt machen kann. Band in Finnland und nur im Umkreis von 100 Kilometern um Kalajoki bekannt. Label in Berlin und völlig unerfahren. Ein gewisser WD schrieb im Tip Magazin eine wohlwollende Rezension. Und in Berlin wurden so um die 20 Platten verkauft. In Finnland erschienen Reviews in mehreren landesweiten Publikationen. Aber da die Platte dort keinen Vertrieb hatte, verpuffte das leider ziemlich nutzlos. In Kalajoki wurden bestimmt so um die 150 Platten verkauft. Aber das war’s dann. Der Rest wurde zum Teil verschenkt, und ich habe noch immer ca. 20 Stück von den 500, die damals gepresst wurden.

02. So Much – The Beatitudes (D, 1984)
1983 lernte ich die Beatitudes kennen, eine der ersten Neo-Sixties Bands in Berlin. Die Geschichte dieser Band ist eine eigene Publikation und Compilation wert. Ich wurde so eine Art nicht musizierendes Bandmitglied. Und weil wir kein Label fanden, das unsere Musik veröffentlichen wollte, gründeten wir halt selbst eines. Die 7“ EP „The Grace Of Mystery“ erschien im Sommer 1984, war im SF-Beat Platte der Woche und sehr schnell ausverkauft. 1000 Stück betrug die Erstauflage im flaschengrünen Sleeve, und 500 Stück wurden nachgepresst und erschienen im pinkfarbenen Sleeve. Der Labelname Twang! ist von der Twang Gitarre eines Duane Eddy oder Link Wray inspiriert. Beatitudes Bandleader und Bassist Sandy Hobbs ist der eigentliche Erfinder des Labels Twang! Records.

03. Black Carnations – Les Black Carnations (D, 1985)
Im Herbst 1984 hatte sich Sandy Hobbs von den Beatitudes getrennt und kurz darauf eine neue Band gegründet, Les Black Carnations. Anfangs betreute ich noch beide Kapellen, aber aufgrund der immer heftiger ausgefochtenen Zwistigkeiten zwischen Hobbs und Beatitudes entschied ich mich dann letztlich, mit meinen Freund Sandy weiter zu machen. Die erste Veröffentlichung der Carnations war eine 7“ auf Twang! in einer Auflage von knapp 1000 Stück im Frühjahr 1985. Sängerin der Band war eine gewisse Justine Time, die später unter dem Namen Katharina Franck bekannt und erfolgreich werden sollte. MTV drehte anlässlich der Funkausstellung in Berlin zur Single ein Video, das damals auch etliche Male auf dem Sender lief.

04. Don’t Call Me Batman – The Chud (D, 1986)
1986 stieg Sandy Hobbs bei The Chud als Bassist ein. The Cannibalistic Humanoid Underground Dwellers (nach einem Splatter Movie benannt), kurz: The CHUD, waren eine geniale Bubble Gum Psych Band, und „Batman“ war ein richtiger kleiner Radio Hit in Berlin damals. Die Single wurde – nicht zuletzt wegen des 1989 aufkommenden weltweiten Batman Fiebers – zur bestverkauften Twang! Single mit über 2000 verkauften Exemplaren.

05. My Zen – Rubbermind Revenge (D, 1988)
Im Herbst 1987 öffnete die Vinylwarenhandlung Twang-Tone ihre Pforten in Berlin Schöneberg. Und etwa zur gleichen Zeit begannen drei schon zu ndW Zeiten aktive Musiker unter dem Namen Rubbermind Revenge ihre Version von Hippie-Flower-Power-Art-Pop-Rock zu spielen. „My Zen“ klingt denn auch nach einer gelungenen Mischung aus Beatles, Alice Cooper und T.Rex. Rubbermind Revenge fanden im UK zwar durchaus ein paar begeisterte Rezensenten u.a. in einem Fanzine namens „Freakbeat“, aber eigentlich kamen sie mit ihrem fast schon zu cleveren Konzept einer modernen Hippie Combo bereits 2-3 Jahre zu spät. Die Single erschien mit einer Buntstift Beilage zum selbst Ausmalen des Covers.

06. Waitin’ – The Curlettes (D, 1988)
1988 nahmen The Curlettes am Berliner Senatsrockwettbewerb teil, konnten aber trotz allen Charmes letztlich keinen Blumentopf gewinnen. Möglicherweise lag das daran, dass sie wie die klassischen Girl Bands der frühen Sixties nur sangen und ihre einstudierten Tanzschritte am Bühnenrand vollführten, während hinten eine männliche Band spielte. Im Studio war es ebenso. Ihre 7“ 45 ist inzwischen eine der rarsten und gesuchten Twang! Platten. 500 Stück wurden gepresst und verkauft.

07. 1000 Times – High Jinks (D, 1988)
Melancholischer Power Pop und die Stimme einer unterkühlten Blondie. Warum diese Single kein Hit wurde, ist mir bis heute ein Rätsel. Rund 600 Stück wurden gepresst und ja, auch verkauft. Die letzten erst vor wenigen Jahren.

08. Voices Scream And Murmur – Les Black Carnations
(D, 1986/1988)
Bis 1988 erschienen nur 7” 45s auf Twang! Und auch danach blieb dieses Format das bevorzugte bis heute. Es gab aber auch LPs und sogar CDs auf Twang!
Les Black Carnations hatten sich Anfang 1986 zunächst aufgelöst, pünktlich zum Erscheinen ihrer ersten 6-Track mini LP auf Pastell Records. Nachdem dann Katharina Franck mit den Rainbirds zu Chart Höhenflügen gestartet war, beschlossen Sandy und ich, die Carnations Studio Aufnahmen und den Mitschnitt vom „Beat The Beat“ Festival im Haus des Rundfunks des SFB vom 5. Dezember 1985 auf einer LP unter dem Titel „These Were Les Black Carnations“ zu veröffentlichen. Nach einigem juristischen Geplänkel (Katharina war es damals gar nicht so lieb, dass ihre musikalische Vergangenheit „ausgeschlachtet“ wurde, wie sie das empfand.) erschien die LP im Herbst 1988. Die hier enthaltenen Songs (bis auf die Dylan Nummer natürlich) haben Sandy Hobbs und ich übrigens gemeinsam geschrieben.

09. I’ll Keep It With Mine – Les Black Carnations (D, 1988)
Den Song, den Bob Dylan seinerzeit für Nico schrieb, singt Justine (Katharina) hier live nur von Sandy auf der Gitarre begleitet.

10. Cherrylight – Les Black Carnations (D, 1988)
Ebenfalls live, leider gibt es von diesem Titel keine Studio Aufnahme. Trotz des etwas klischeehaften Textes, den ich heute wohl nicht mehr schreiben würde, einer meiner liebsten eigenen Songs.

11. What Time Did You Say It Is In New York City – Les Black Carnations (D 1986/1988)
Dieser Titel wurde zusammen mit „I’ll Keep It With Mine“ auch als 7“ veröffentlicht. Die Auflage betrug allerdings nur 300 Stück, weil es sich in erster Linie um eine Single für die Radio Promotion handelte. Und dieser Zweck wurde erfüllt, ich hatte nie wieder eine so gute GEMA Abrechnung wie 1988/89.

12. Sweet Little Lies – High Jinks
(D, 1989)
Der Opener des High Jinks Albums „Talk Dirty“. Die Platte, die mich fast in den Bankrott getrieben hat. Die Band nahm ich als erste (und einzige) exklusiv unter Vertrag. Die Kosten für die LP liefen dann leider etwas aus dem Ruder, für independent Verhältnisse jedenfalls. Und dann kam die coole Sängerin auf die glorreiche Idee, eine Solo Karriere zu versuchen. Wieder pünktlich zur Veröffentlichung der LP. Dabei hatte alles so viel versprechend begonnen mit erfolgreichen Auftritten im Rahmen der Berlin Independent Days und freundlichem Interesse der lokalen Medien. Die Band versuchte mit neuer Sängerin noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Und in den Umbrüchen der Wende 1989/90 löste sich dann die Band auf, und die Platte ging sang- und klanglos unter. Dabei ist es wirklich eine gute Platte irgendwo im Spannungsfeld zwischen Power Pop, Americana und Shoegazer Sound. Der Bassist der Band ist heute übrigens Chef-Redakteur des Berliner Tagesspiegel. Von den ca. 800 gepressten LPs habe ich noch ein paar wenige übrig.

13. I Want It All – The What…For! (D, 1989)
Ganz das Gegenteil geschah mit The What…For! und ihrer LP. Aufgenommen innerhalb einer Woche im senatseigenen Beat Studio mit den Fördergeldern des Kultursenators war diese Platte von Beginn an der Renner in der deutschen Beat Szene. Und im Lauf der Jahre ist dieses einzige Album der noch immer sporadisch live spielenden Berliner Band zur bestverkauften Platte auf dem Twang! Label avanciert. Freilich geht es dabei auch „nur“ um eine Zahl um die 2000. Ich habe damals gleich etwas über 2000 Cover drucken lassen, und bei der letzten Nachpressung vor knapp 15 Jahren alle Cover „auspressen“ lassen, wie man so sagt. Davon sind immer noch so um die 60 Stück übrig.

14. On A Vacation – Wanna Bees (FIN, 1990)
1990 gründeten zwei Freunde und ich ein weiteres Label, Rosebud Records. Unsere erste Veröffentlichung unter dieser Marke war das zweite Album der finnischen Band Wanna Bees. Wir lizenzierten die Platte vom finnischen Label Gaga Goodies meines Freundes Miettinen. Die Aufnahmen zu dieser LP waren in Sydney, Australien, im Super Sound Barrier Studio von John Hresc im April 1989 entstanden. Für die Wanna Bees organisierte ich im Frühjahr 1990 ein Tournee durch Deutschland, an der ich auch selbst als Tour Manager teilnahm.

15. Vorbei – Die Silverbones (D, 1990)
Die Silverbones waren ein Berliner Punk Pop Trio, in dem mein Hausgrafiker Henni Hell Schlagzeug spielte. Ihre LP „Das Leben ist schön“ erschien auf Magic Toe Nail Records, weil ich damals meinte, sie würden nicht wirklich auf Twang! passen. Musikalisch und auch sonst passten die Jungs ganz gut zu einem anderen Berliner Punk Pop Trio namens Die Ärzte. Rund 50 Exemplare der Silverbones LP sind noch da.

16. Doll Faced Woman – Loose Trigger (D, 1990)
Und noch eine Band, deren Musik m.E. eher nicht auf Twang! sondern auf Magic Toe Nail passte. Vor allem der Bassist von Loose Trigger und seine damalige Freundin waren Stammkunden in der Twang-Tone Vinylwarenhandlung und kauften fast jede Importplatte aus Skandinavien. Und so kam es also, dass ich mich um die Veröffentlichung der Debüt 7“ von Loose Trigger kümmerte.

17. Stand Up – Wanna Bees
(FIN, 1991)
Ein Joint Venture von Gaga Goodies und Rosebud war diese 7“ der Wanna Bees aus Helsinki. Und eine weitere Tournee durch Deutschland folgte. Eigentlich sollten noch weitere Rosebud Releases auch anderer Bands folgen, doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Von der Single habe ich noch mindestens 30 Stück.

18. Wake Up On A Sunday – Peter Subway (D, 1991)
Peter Subway lernte ich zunächst auch eher als Kunden im Twang-Tone Laden kennen. Wir kamen irgendwann ins Gespräch, und er erzählte, er sei u.a. auch Musiker und spiele öfters in der U-Bahn. Daher auch sein Nickname Peter Subway. Schließlich fragte er, ob ich nicht ein paar seiner Aufnahmen rausbringen wolle. Mir gefiel seine Musik, die irgendwo zwischen The Cure, David Bowie und so Singer / Songwriter Pop angesiedelt war. Wie sich herausstellte spielte auch der frühere High Jinks Lead Gitarrist bei einigen von Peters Tracks mit. Aus dem finanziellen High Jinks Desaster hatte ich die Konsequenz gezogen, nichts mehr allein und komplett zu finanzieren. Also bot ich Peter an, eine 7“ EP zu veröffentlichen, mich um die Herstellung, die Promotion und zum Teil auch den Vertrieb zu kümmern, wenn er die Kosten der Herstellung übernahm. Und so geschah es. Die 500 EPs sind alle weg.

19. Maybe Someday – The Lemonbabies
(D, 1991)
Mod Girl Marita, eine regelmäßige Kundin bei Twang-Tone, brachte eines Tages ein Fanzine in den Laden mit dem Titel „Zitronenpresse“. Das war das Fan Magazin der Band ihrer jüngeren Schwester Diane, The Lemonbabies. Ich sagte, wenn die Mädels mal wieder einen Gig haben, sag bescheid. Ich schau mir die gern mal an. The Lemonbabies waren vier Oberschülerinnen zwischen 15 und 17 damals. Sie konnten wunderbar mehrstimmig singen, waren große Fans von Sixties Pop und solcher Girl Groups wie The Shangri-Las oder The Ronettes, und sie tauschten nach jedem Song die Instrumente reihum, ganz demokratisch. Ihre Gigs damals waren chaotisch aber sehr schnell Kult! Ich war anfangs trotzdem skeptisch, aber Henni (der Grafiker) überredete mich. Und so produzierten wir zusammen die EP „Fresh ’n’ Fizzy“. The Lemonbabies gewannen im Herbst 1991 den letzten Berliner Senatsrockwettbewerb, kauften sich vom Preisgeld ihre ersten eigenen Instrumente, und gingen in den Herbstferien mit The What…For! auf Kurz-Tour durch Deutschland und Österreich. Diese Version von „Maybe Someday“ ist übrigens die ursprüngliche von der Debüt EP. Der Song erschien später noch mal in einer a capella Version als erste Single bei dem Majorlabel Sony. Die EP auf Twang! erschien in einer Auflage von exakt 1055 Stück, die natürlich schnell vergriffen waren. Eine zweite Auflage wollten die Mädels nicht.

Fortsetzung folgt.

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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!