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@ Johannes_Reiter
Den hat sie auch, doch konnte man auf „die Kritik“ noch nie etwas geben. Auf Kritiker schon. Auf den individuellen, ausgewiesenen Fachverstand. Es gab selbst in den Zeiten, als sich noch nicht jeder Musikkritiker nennen durfte, kein Organ der Musikpresse, dem in toto zu trauen war. Man mußte sich stets auf den einzelnen Schreiber einlassen, seine Stärken schätzen, seine etwaigen Schwächen einschätzen lernen. Nur so konnte sich das nötige Vertrauensverhältnis herstellen, das die betreffende Schreibe autoritativ machte. Für den so prädisponierten Leser. Nicht einmal der „NME“ in seinen besten Tagen, ca. 1974-1979, verfügte über soviel kollektive Exzellenz, daß man je hätte davon abstrahieren können, wer einen Artikel verfaßt hatte. Farren, Murray, Kent, McDonald, etc. waren zwar brillant und den Clowns, die heute für den „NME“ schreiben, in jeder Beziehung haushoch überlegen, jedoch nicht ohne Fehl und Tadel. Darum ging es ja bei der Lektüre: die Persönlichkeit des Autors mitdenken.
Die Zeit der Koryphäen, von denen man lernen konnte, weil sie einen Kompetenzvorsprung hatten, ist indes ohnehin vorbei. Die schreiben, sofern überhaupt noch aktiv, für die Fachpresse. Oder haben sich schmollend ins Privatleben zurückgezogen. Was sich in der Generalisten-Musikpresse noch an Fachpersonal tummelt, ist oft kaum fähiger oder verständiger als die Spreizer in den Feuilletons. Leute, die sich mal eben bei Wikipedia „schlau machen“ oder den „All Music Guide“ konsultieren, bevor sie sich – sprachlich mehr oder weniger inadäquat – selbst dazu „positionieren“. Macht ihr Browser Spirenzchen und das Internet steht nicht zur Verfügung, hängen sie in der Luft. So rührend wie dumm in diesem Zusammenhang ist die Annahme, man könne, wenn schon nicht dem einzelnen Urteil, jener Vermassung von Urteilen folgen, die etwa über „metacritic“ abzurufen ist. Die Logik dahinter: ein einzelner „Kritiker“ kann schon mal irren, doch ein vielköpfiger Kritikerkörper niemals völlig danebenliegen. Das Gegenteil ist richtig.
Zurück zu Deinem „ambivalenten Ruf“: der setzt sich aus Verdikten zusammen, die nur ausnahmsweise begründet sind. Gewöhnlich gespeist aus Sekundärliteratur, deren Reihung und somit Relevanz von Google vorgegeben wird. Kulturzweckpessimissmus? Leider nein. Ich komme fast täglich mit Kollegen ins Gespräch, die über Musik schreiben, Radio machen, sich sonstwie medial darüber auslassen. Und über die meisten läßt sich mit Fug und Recht kalauern: denn sie wissen nicht was sie tun. Zumal bei einem Thema wie Joan Baez. Eine Person, über die jeder aus dem Stand eine Meinung vertritt. Weil sie doch stets „politisch Korrektes“ singt (wie lästig!) und dann noch mit einer Stimme, die so gar nicht neutral ist oder zur Durchhörbarkeit taugt (noch lästiger!). In der „taz“ hat sie ein Idiot mal „die Mutter Theresa der US-Folklore“ genannt, und ich bin mir sicher, daß er auf diese Formulierung furchtbar stolz war, und daß nicht wenige seiner Leser darüber geschmunzelt haben. Ohne genaue Kenntnis ihrer Platten, geschweige denn ihres außermusikalischen Wirkens. Was man den Lesern nicht vorwerfen kann, der Feuilletonisten-Flitzpiepe schon. Die gehört bereits für „US-Folklore“ mit Verachtung gestraft. Das mit dem „ambivalenten Ruf“ stimmt also, doch: trau, schau wem.
@ dougsahm
Danke. Werde mich darum kümmern, klingt nicht uninteressant. Louisiana, fränkisch? Was Louisiana selbst betrifft, so muß ich Dir auch hier eine befriedigende Antwort schuldig bleiben, denn was mir aus dem genannten Zeitraum zu Ohren gekommen ist, war allenfalls geeignet, Pauschaltouristen in die Bayous zu locken: bunt, laut, blöd. Remmidemmi-Swamp-Rock, in der Machart wie BossHoss Bluegrass zerstampfen. Man müßte halt vor Ort forschen, in Lafayette, Lake Charles oder Baton Rouge, aber dorthin hat es mich auch schon lange nicht mehr verschlagen, leider. New Orleans wurde post Katrina zwar viel besungen, zuletzt von Mac Rebennack, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die lokale Musikszene so kurz nach der Katastrophe bereits wieder auf den Beinen ist. Im French Quarter schon, weil man da vom Tourismus lebt. Entsprechend banal freilich ist die Musik.
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