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Ich hatte mich in meinem Beitrag keineswegs verausgabt, sondern lediglich den Versuch unternommen, einige Methoden zu entwickeln, wie man eine solche These („Bands, die mit einem Album debütieren, taugen nichts ) überprüfen könnte. Dass Du so nicht arbeitest, war mir klar, ich wollte lediglich zeigen, wie man meiner Ansicht nach arbeiten müsste, damit eine solche These, so plausibel und nachvollziehbar sie auch sein mag, als irgendetwas ähnliches wie eine gesicherte Erkenntnis gelten könnte.
Das Grundproblem, das dahinter steht, ist meiner Ansicht nach Folgendes: Wer den Anspruch erhebt „empirisch überprüfbare“ Thesen aufzustellen, der kann sich nicht allein auf Erfahrung berufen, sondern muss die Erfahrung auch einer bestimmten Methode entsprechend systematisieren und auswerten. Wie sonst soll man sie überprüfen können? Was Du sagst ist im Grunde das: „Ich habe mich sehr lange Zeit mit dieser Materie beschäftigt und erhebe den Anspruch basierend auf bloßer Erfahrung allgemeine Thesen zu entwerfen, die man „empirisch überprüfen“ kann!“ Wie aber soll das geschehen? Indem wir alle dieselbe Erfahrung erwerben wie Du? Indem wir Dein Urteil einfach als gegeben und wahr hinnehmen?
Diese Problematik ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn damit ein Werturteil verknüpft ist. Basierend auf Deiner Erfahrung entscheidest Du, welche Musik qualitätvoll ist und welche nicht. Aber Du erhebst gleichzeitig den Anspruch, dass diese These „empirisch überprüfbar“ sei. Wie soll irgendjemand eine solche These überprüfen können, wenn er noch nicht einmal weiß, mit welchen Kriterien Du „Qualität“ verbindest? Dein Urteil schön und gut, aber niemandem wird es gelingen, Deiner Erfahrung gleichzukommen. Niemandem wird es je gelingen, der Erfahrung irgendeiner anderen Person gleichzukommen! Darum haben wir ja Kriterien und Methoden entwickelt, die im besten Fall garantieren sollen, dass wir die Erkenntnisse anderer Menschen nachvollziehen können.
Was Du äußerst, ist – meiner Ansicht nach – keine These, die man „empirisch überprüfen“ könnte, sondern eine Meinung, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Das ist in der Theorie auch gar kein Problem, denn ein auf Erfahrung basierendes Urteil wird dadurch nicht weniger interessant, lehrreich, bemerkenswert und einsichtsvoll. Es ist nicht das Urteil an sich, das mich stört, sondern der Anspruch, der immer wieder dahintersteht, nämlich dass Dein Urteil nicht etwa am Anfang, sondern am Ende einer Diskussion steht. Im „Objektivitäts“-Thread wurde sinngemäß geschrieben, dass Urteile, die ästhetischen Inhalt haben, nur innerhalb eines Diskurses sinnvoll sind. Der Anspruch, den Du erhebst, ist aber, dass Deine Werturteile den Diskurs ersetzen, nach dem Motto: „Damit ist die Sache ein- für allemal geklärt. Ihr könnt alle nach Hause gehen.“
Wie gesagt: Ich will Dir weder Deine Erfahrung, noch den Wert Deines Urteils absprechen. Aber Deine Aussage, dass Du „plausible“ Thesen aufgrund von „Erfahrungen“ vertrittst, ist letztlich mit Deiner Erklärung, Deine Thesen seien „empirisch überprüfbar“ nicht vereinbar.
Ich glaube, dass auch dieser Anspruch, den Du vertrittst, hinter der – interessanterweise auch von Dir beklagten – Fraktionsbildung steckt. Ich gehöre keiner Fraktion an und habe auch überhaupt kein Problem damit, einerseits gerne Roots zu hören, Deine Empfehlungen aufzugreifen und Deine Essays und Kritiken zu lesen und andererseits einige Deiner Thesen, für Quatsch zu halten. Ich habe allerdings den Eindruck, dass es aufgrund der Art und Weise, wie Du Deine Thesen formulierst, Leute glauben machen lässt, dass es entweder „your way or the highway“ sei, dem sie folgen müssten.
Das ist vermutlich gar nicht so, aber lies bitte noch einmal den ersten Satz Deiner Antwort an mich. Meine Prämissen seien „falsch“. Das ist ein gewagtes Urteil. Man hätte den Satz auf hunderte verschiedene Weisen formulieren können, z. B.: „Meine Prämissen sind andere“ oder „Du missverstehst meine Prämissen“ oder „Ich gehe von einem anderen Begriff der Empirie aus.“ Du beziehst Dich jedoch auf die Grundlage, sozusagen meine Definition von Empirie. Die jedoch kann nicht falsch sein, Du erklärst sie lediglich für falsch damit Du – damit hat Sinnerman schon Recht – nicht darauf eingehen musst. Man kann sich sicherlich gegen Methoden oder Definitionen aussprechen, aber es reicht nicht, sie einfach für „falsch“ zu erklären. Damit stellst Du ein Werturteil an den Anfang einer Diskussion, das dazu geeignet ist, sie zu verhindern.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.