Re: Mikkos LP Faves

#5217925  | PERMALINK

mikko
Moderator
Moderator / Juontaja

Registriert seit: 15.02.2004

Beiträge: 34,399

original LP

Re-Issue 2011

The Matadors – s/t (LP, Supraphon, CSSR 1969) The Matadors – Get Down From The Tree (DoLP, Munster Records, 2011)

Als jemand, der in Berlin geboren und aufgewachsen ist, bin ich natürlich auch von den Auswirkungen westlicher Beatmusik in den Ländern des real existierenden Sozialismus nicht verschont geblieben. Und ich muss sagen, nicht alles dort war peinlich oder vollkommen indiskutabel. 1969 bekam ich von einer in Ostberlin lebenden Tante die LP der führenden tschechischen Beat Band The Matadors geschenkt. Es ist ihre einzige LP geblieben. Aber für mich war diese LP damals eine Offenbarung. Durch sie lernte ich das wunderbare „My Girl“ kennen. Für das Original von The Temptations war ich entscheidende 2-3 Jahre zu jung. Und auch „It’s All Over Now, Baby Blue“ im Arrangement von Them hörte ich hier zum ersten Mal. Neben einer John Mayall Nummer und zwei Howlin’ Wolf Cover sind das dann aber auch schon alle Fremdkompositionen auf der Platte. Die anderen sieben der insgesamt zwölf Titel sind eigene Werke der Prager Band. Und was für welche! Komposition, Arrangement und Spieltechnik stehen den angloamerikanischen Zeitgenossen nicht nach. Und im Vergleich zu den deutschen Beat Bands der Sixties sind The Matadors ganz weit vorne. Der Opener „Get Down From The Tree“ ist eine großartige R&B Nummer, deren Sound man heute mit Freakbeat assoziiert. „Extraction“ ist ein fast avantgardistischen Instrumental von sechs Minuten, das an Soft Machine und The Doors zugleich denken lässt. In den Liner Notes der LP werden Them mit Van Morrison, Eric Clapton und Jimi Hendrix als Vorbilder genannt. Man hört das auch deutlich, ohne dass man je das Gefühl hat, hier wären reine Kopisten am Werk. Viktor Sodoma hat eine wirklich tolle, ausdrucksstarke Stimme. Und auch wenn er nicht immer völlig akzentfrei Englisch singt, so klingt seine Stimme doch erstaunlich nach so großen Vorbildern wie Stevie Winwood, Otis Redding oder Eric Burdon. Das Zusammenspiel von Piano, Orgel und Gitarren ist wirklich unglaublich auf dieser Platte. Eben noch ganz traditionell im Blues verhaftet, und im nächsten Moment experimentell aber auch poppig. Die trotzig melancholischen Balladen überwiegen auf der Platte. Und ihre „Baby Blue“ Version ist für mich die ultimative. Vielleicht weil ich Them erst danach kennen lernte. So sehr unterscheiden sich die beiden Versionen auch gar nicht. Bei The Matadors klingt das Ganze etwas weicher und versöhnlicher, nicht zuletzt durch ein dezentes Streicherarrangement, das zwar in der Them Version auch da ist, aber so dezent, dass es kaum auffällt. Was ich damals nicht wusste, als die LP 1969 in der DDR und anderswo außerhalb der CSSR erschien, existierte die Band, die das Album im Mai 1968 innerhalb einer Woche aufgenommen hatte, schon nicht mehr. Schließlich hatten die Bruderarmeen im August 1968 Prag besetzt. Das bedeutete auch für die Popmusik einen heftigen Einschnitt. Der größte Teil der Band lebte inzwischen in München und bildete das musikalische Rückgrat der deutschen Version des Musicals „Hair“. Um die Mitte der 1970er Jahre dann bereicherten sie unter dem Namen Emergency die bundesrepublikanische Jazz Rock Szene. Dass die Platte von The Matadors dennoch im Ostblock weite Verbreitung fand, gehört zu den vielen Widersprüchlichkeiten des dialektischen Materialismus. Die LP war für mich immer ein Meilenstein vor allem auch meiner ganz persönlichen musikalischen Entwicklung. Und wenn ich sie heute wieder höre, dann kommen nicht nur jede Menge Erinnerungen hoch, ich freue mich auch über die nuancenreiche und erfrischende Wirkung dieser Musik. Das spanische Label Munster Records hat nun eine Doppel-LP veröffentlicht, die neben der LP auch sämtliche Aufnahmen, die unter dem Namen The Matadors damals gemacht wurden, enthält. Alles wurde von den originalen analogen Bändern remastert. Allerdings wurden in zwei Fällen die besseren Mixe einer früheren EP den Album Versionen vorgezogen. Die zusätzlichen Tracks von verschiedenen Singles, EPs und Samplern bieten eine interessante Bereicherung und machen die Entwicklung der Band in den zwei Jahren ihres Bestehens gut deutlich. Ausführliche Liner Notes in englischer Sprache liefern die ganze Geschichte und Vorgeschichte der Band. Ich kann die Anschaffung dieser Doppel LP wirklich empfehlen, würde mich aber von der originalen LP trotzdem niemals trennen. Diese bekommt ****1/2

--

Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!