Re: Mikkos LP Faves

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mikko
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22 Pistepirkko – The Kings Of Hong Kong (LP, Bone Voyage, www.22-pistepirkko.net)

Die drei Burschen aus dem nordfinnischen Utajärvi gehören ja schon seit bald 25 Jahren zu meinen Lieblingsfinnen. Vor längerer Zeit angekündigt, machen sie nun ernst mit der Wiederveröffentlichung ihres Back-Katalogs auf Vinyl. Die erste Langspielplatte der Marienkäfer erschien zwar bereits 1983 in finnischer Sprache, aber die zählt hier in diesem Zusammenhang nicht. 1986 hatten sie ein erstes Lebenszeichen von sich gegeben, nachdem sie monatelang in der Klausur einer einsamen Waldhütte, mit Sauna und Scheune zum Proben, die Werke der Ramones, Beach Boys sowie unzählige Pebbles Sampler studiert und verinnerlicht hatten. Die 7“ EP „Ou Wee“ erschien auf dem kleinen Pygmi Label in Helsinki. Dorthin waren die Jungs inzwischen auch gezogen, weil man da doch wenigstens ein bisschen näher am musikalischen Geschehen ist, und sei es auch nur am finnischen. Schon bald nach dem Erscheinen der EP und ersten positiven Reaktionen in der einschlägigen finnischen Musikpresse und sogar aus dem Ausland ging die Band daran, ihre Debüt LP aufzunehmen, ihre englischsprachige Debüt LP wie gesagt. Pygmi Records war eine kleine Firma und auch bereits so gut wie pleite, als die ersten Studio Sessions anstanden. Dementsprechend chaotisch ging es zunächst zu. Man stand ständig unter Zeitdruck und musste Studio Zeit nutzen, wenn gerade welche günstig zur Verfügung stand. Etwas entspannte sich die Situation, als Euros Records in die Bresche sprang und Riku Mattila, ein damals bereits erfahrener finnischer Musiker und Produzent, für die Zusammenarbeit gewonnen werden konnte. Und so wurde die Produktion der Platte im Frühjahr 1987 erfolgreich abgeschlossen. Die drei Musiker, die Brüder P.K. (Gitarre, Gesang) und Asko (Bass, Keyboards) sowie ihr Schulfreund Espe (Schlagzeug, Gesang), machten während dieser Zeit enorme Fortschritte, d.h. sie lernten ständig hinzu, probten zum Teil wie die Besessenen, und sie entdeckten andauernd neue Klänge und Spielweisen. Die LP „The Kings Of Hong Kong“ ist einerseits noch stark von Sixties Garage Beat geprägt. Asko war gerade dabei, die käsigen Töne seiner Farfisa Orgel voll auszukosten. Andererseits weist die Platte aber bereits weit über den Garage Horizont hinaus. Mit „Don’t Try To Tease Me“ findet sich eine gelungene Hommage an Hank Williams Senior, dessen Platten P.K. gerade erst kennen gelernt hatte, am Ende der ersten LP Seite. Und Espes „Motorcycle Man“ kann den Einfluss der Velvet Underground nicht leugnen. Was die LP zu etwas Besonderem macht, das ist die unglaubliche Spiel- und Entdeckungsfreude der drei Musiker, die von Anfang an begierig waren, neue Dinge zu probieren, unbekannte Wege zu beschreiten und dabei ständig Musikhistorie auf- und abzuarbeiten. Der LP Titel ist übrigens der Tatsache geschuldet, dass damals in Finnland (und vermutlich nicht nur dort) viele Dinge des täglichen Gebrauchs „Made in Hong Kong“ waren. Die Band fand das lustig. Und sie selbst waren demzufolge „The Kings Of Hong Kong“. ****

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22 Pistepirkko – Bare Bone Nest (LP, Bone Voyage)

Auf ihrer zweiten internationalen LP waren die Marienkäfer zur Blues Combo mutiert. Aber natürlich nicht im traditionellen Sinn Blues wie bei Muddy Waters, Lightnin’ Hopkins oder Captain Beefheart. Die Jungs übernahmen jedoch diese hypnotische, vorwärts drängende Spielweise, dieses sich wiegende Auf und Ab solcher Songs wie „I Wish You Would“. Mit der Blues Adaption der britischen Musiker in den 1960er Jahren hat das hier auch recht wenig zu tun. Nach eigener Aussage konnten die Finnen das Spartanische, die archaischen Geschichten der alten Blues Songs und diese raue Melancholie, zuweilen Tristesse, aufgrund ihrer Herkunft aus der einsamen Kargheit des finnischen Nordens gut nachvollziehen. Obwohl diese Songs von einem anderen Kontinent stammen, waren sie rein gefühlsmäßig gar nicht so weit weg, sagt P.K. Beim Spielen der Blues Gitarre fühlt sich P.K. ausgesprochen wohl, wie man hört. Doch treten bei ihm diverse andere Elemente hinzu. Das Sir Douglas Quintett hatte in den 1980er Jahren mal in Oulu gespielt, und Asko war dort und fasziniert von Sound und Spieltechnik der Band. Speziell sein Orgel und Synthesizer Spiel auf dieser LP hier ist vom Cajun und Texmex Sound zumindest inspiriert. Die LP entstand im Winter 1988/89 wieder in enger Zusammenarbeit mit Riku Mattila, der auch bei dem einen oder anderen Track an der Gitarre aushalf. Wieder ist eine sehr vielschichtige, vielseitige Platte entstanden. Neben dem Blues gehört Country zum Repertoire dieser Platte, sowie allerlei exotische Klänge von Tablas, Congas und vorproduzierten Tape-Loops. Der Opener „Frankenstein“ wurde damals zu einem richtigen kleinen „Indie“ Hit – auch hier in Berlin dank Radio 100. Die ätherische Country Ballade „Shot Bayou“ ist überirdisch schön. Und die wilde Entschlossenheit solcher Tracks wie „Save My Soul“ erinnert in der Tat an die Kompromisslosigkeit des leider kürzlich verstorbenen Captain Beefheart. Höhepunkt dieser Kompromisslosigkeit ist der Titelsong „Bare Bone Nest“ am Ende der LP. Eine an Sonic Youth geschulte Klangcollage aus Feedback und Fuzz Kaskaden. Alles mit Gitarren und ihren Verstärkern und Effektgeräten erzeugt. Lediglich die Marseillaise und das Star Spangled Banner wurden vom Band zugespielt. Grandios! Die LP erschien 1989 auf dem eigens von Universal Finnland für solche Zwecke gegründeten Label Spirit. Die Re-Issues auf Bone Voyage wurden übrigens von den analogen Originalbändern gemastert. Covergestaltung und Liner Notes sind neu, die originalen Cover als Faksimile beigefügt. Bare Bone Nest LP ****1/2

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