Re: Sun Ra

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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vorgarten
greenwich village, 1961.

Mensch, in den frühen 60ern hätte man in Greenwich Village leben müssen. Das ist ja noch hipper als das Berlin der 80er. ;-)

es wollte aber einfach nicht klappen mit dem durchbruch. (…) tom wilson geht bald zu columbia und macht einen herrn namens dylan zum star, der auch erst 1961 in new york ankam – und der keinerlei zeit verlor in seinem projekt, berühmt zu werden.

Man hätte damals an einem Abend in NYC möglicherweise die Wahl gehabt, entweder Sun Ra oder Bob Dylan oder … zu sehen und zu hören. Sagenhaft!

Es sind zwei verschiedene Paar Schuhe und es ist auch egal, … aber Bob Dylan profitierte auch davon dass er nicht nur auf der Welle des damaligen Folk-Revivals surfte, sondern dass er außer von Tom Wilson auch noch von Impresario John Hammond (of Billie Holiday-, Count Basie-Fame, später auch noch Aretha Franklin, Leonard Cohen und Bruce Springsteen) und dem äußerst geschäftstüchtigen Manager Albert Grossman (ein Schlitzohr, das eine sehr profitable Lebensversicherung auf Janis Joplin zu seine eigenen Gunsten abschloss) unterstützt wurde. Und sicher waren die einfachen Songs von Dylan besser zu vermarkten als der Jazz von Sun Ra mit „den vielen gegenläufigen stimmen, den abstrakten traditionsanleihen und der nächtlich-glühenden atmosphäre.“ Insofern verstehe ich es schon, dass Sun Ra der Durchbruch nicht gelingen wollte. Auch wenn ich es nicht gutheiße.

vorgartenwas ich nur finde: welch großen spaß diese aufnahmen machen, einfach so, musikalisch. das hat was mit der einstellung in der band zu tun, die auch das heutige arkestra noch fortführt – dass der heilige ernst der musikausübung doch zu sowas wie magie führt. einen bläsersatz so spielen, als würde man zauberformeln aufsagen.

Das ist sehr schön beobachtet und formuliert. Genau: Die Musik von Sun Ra bereitet Freude, das ist Avantgarde mit Spaß, so paradox das vielleicht klingen mag. Sie hat ja auch meist etwas sehr verspieltes und offenes, klingt eben nicht wie heiliger Ernst. John Coltrane, ja der klingt so, als ginge es um sein Seelenheil und die Rettung der ganzen Welt. Sun Ra hingegen, das ist bei allem visionären Anspruch auch praktizierte Lebensfreude im Hier und Jetzt. Da passen dann auch die Kostüme und die Shows perfekt ins Bild.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)