Re: Sun Ra

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icculus66

Registriert seit: 09.01.2007

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Zum Thema „Scharlatan“: Lassen wir nochmal Rene Mauchel aus besagtem 1982er Sounds-Artikel zu Wort kommen:

Zitat Anfang:
„… als Sun Ra mit seinem Intergalactic Research Arkestra 1970 erstmals nach Europa kam, zu den Donaueschinger Musiktagen und zu den Berliner Jazztagen, zerriß sich die Jazzkritik aus Ignoranz und Intoleranz das Maul über ihn. Als Beispiel der Bösartigkeit sei ein, übrigens immer noch publizierender, Horst Schade etwas ausführlicher zitiert, der nichts kapierte und auch nichts kapieren wollte: „Eher komisch denn kosmisch mutete der abstruse Hokuspokus des ‚Intergalaktischen Weltraum-Orchesters‘ von Sun Ra an. Die Naivshow der knallbunt gewandeten und mit Blechklunkern bekränzten Musiker, Tänzerinnen und Feuerschlucker ist allenfalls als belustigender Jahrmarktszauber hinnehmbar, nicht aber als bedeutender zeitgenössischer Musikbeitrag zu werten. Daß es Sun Ra mit seinem sphärischen Sendungsbewußtsein ernst ist und der Sonnenkultismus seiner Gruppe echter Überzeugung entspringt, muß angesichts der billigen Effekthascherei in Frage gestellt werden. Auf europäische Gemüter wirken die handgewerkelten Primitivsymbole wie aus dem Requisitenfundus zu ‚Peterchens Mondfahrt‘ herbeigeklaubt, und das einzige Außerirdische an der wirren Klangcollage dieser ‚All-Musik‘ sind die Lichtjahre, die Sun Ras Universum-Protagonisten von den mehr amüsierten als beeindruckten Zuhörern trennen. Sun Ras musikalisches Credo ist zu sektiererisch unbedeutend, als daß es auf dem Programm einer internationalen Festwoche gehört werden sollte.“
Und Sun Ras message handelte von Liebe, Freundschaft, Verständnis unter den Menschen und dem friedlichen Zusammenleben auf dieser Welt! Schades ätzendes Geschreibsel nennt zwar die Äußerlichkeiten, bezeugt aber auch das fundamentale Unvermögen eines kleingeistigen Mitteleuropäers, sich mit Dingen auseinandersetzen zu können, die seiner Wesensart fremd sind – wie eben diese Black Cosmic Music Sun Ras.“
Zitat Ende.

Meines Erachtens sind die Aufnahmen aus Berlin und Donaueschingen von 1970 essentiell und unbedingt empfehlenswert. Es gibt eine DoCD von 1998 mit dem Titel „Black Myth / Out In Space“, auf der beide Shows kompiliert sind. Vielleicht könnt ihr auch noch die LP dazu finden: „It’s After The End Of The World“ (Produced by Joachim Ernst Berendt, MPS 1970, rerelease Universe 2003):

Das Bild auf dem Cover ist von Hieronymus Bosch „Der Garten der himmlischen Freuden“

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Free Jazz doesn't seem to care about getting paid, it sounds like truth. (Henry Rollins, Jan. 2013)