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Nach STOP MAKING SENSE und seinen anderen Erfahrungen mit Film + Video, Theater und Ballett bekommt David Byrne Lust selber auch mal Regie zu führen. Einen Film möchte er drehen. Es erweist sich aber als schwierig ein tragfähiges Drehbuch zu schreiben und in Folge dessen gelingt es auch nicht, ein Budget dafür aufzutreiben. Also verzögert sich dieses Vorhaben zunächst erstmal.
Aber es ist schon wieder ein Jahr um und 1985 wäre eigentlich mal wieder ein neues Album der TH fällig. Und so gehen die TH ins Studio und nehmen ein Album auf. Ich weiß nicht, wie LITTLE CREATURES im Detail zustande kam. Aber in diesem Falle scheint David Byrne zumindest ein paar fertige Songs in der Tasche zu haben, die ohne großes Umwege aufgenommen werden können. Jedenfalls klingt LC so, als gäbe es fertiges Material, das man nur noch arrangieren und auf Band festhalten muss. Keine Komplikationen und Irritationen, ein bisschen Erfahrung hat man ja inzwischen, um so etwas routiniert fertigstellen zu können. Leider bleibt dabei aber auch das Überraschungsmoment ein wenig auf der Strecke.
LITTLE CREATURES ist bestimmt kein schlechtes Album. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass ich persönlich es im Vergleich zu anderen Alben der TH als etwas blass empfinde. „A nice little pop album without sturm and drang.“ (David Bowman) Und genau das vermisse ich daran. Der Reiz der davorigen TH-Alben bestand ja gerade immer auch im Eintreffen des Unerwarteten und der Übertreibung. LC dagegen klingt wie die Platte einer Band, die weiß, was sie kann, aber nichts mehr wagt. Stilistisch ist es im Mainstream-Pop der 80er angekommen – irgendwie erinnert es mich an LET’S DANCE von David Bowie -, professionell gemacht, leicht zugänglich und gefällig anzuhören. Ein paar Songs sind dennoch erwähnenswert: CREATURES OF LOVE ist ein ironisch-naiver Country Song, wie wir ihn auch schon von THE BIG COUNTRY kennen, aber unschuldiger und weniger zynisch. ROAD TO NOWHERE ist eher untypisch für die Platte, mit seinem Akkordeon und dem monotonen Rhythmus, irgendwo zwischen Zydeco und Marschmusik. AND SHE WAS, THE LADY DON’T MIND, WALK IT DOWN und TELEVISION MAN klingen etwas nach dem Funk von SPEAKING IN TONGUES, aber bei weitem nicht so knackig. Es ist eigentlich kein einziger schlechter Song drauf, aber so richtig herausragen und zünden tut wiederum auch nichts.
Erwähnenswert ist außerdem das Cover: Ein phantastisch-naives Gemälde des „Outsider-Artists“ Reverend Howard Finster, dass die TH inmitten einer Welt von lächelnden weißen Wölkchen, fliegenden Untertassen und griesgrämigen Bergen zeigt, die von winzigen Menschen und Tieren bevölkert und über und über mit religiösen Sprüchen wie „A new world is coming down from on high“ beschriftet ist. Auf der Rückseite der Covers tragen die 4 TH Kostüme aus kunterbunt gemusterten Stoffen. Irgendwie sehen sie so aus, als wollten sie damit zum Lumpenball der Grundschule. Nett.
Das plattenkaufende Publikum sah LITTLE CREATURES allerdings genau andersrum wie ich: Nicht nur das Stück AND SHE WAS, sondern vor allem ROAD TO NOWHERE werden Single-Hits, und schallen 1985 aus jedem Autoradio. So wird LITTLE CREATURES der bis dahin größte kommerzielle Erfolg der TH und prägt damit wahrscheinlich bis heute für das breite Publikum das Bild der Talking Heads.
So sehr können die Meinungen auseinander gehen.
F.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)