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Ich war zwar schon einmal in Athens, von R.E.M. habe ich aber leider nix gesehen. Anderen scheint’s da besser zu gehen.
R.E.M.-Tourismus in den USA
Daheim bei WeltstarsVon Stefan Robert Weißenborn
Die Legende lebt: Im US-Bundesstaat Georgia können R.E.M.-Fans Musikgeschichte hautnah erleben. In einer Kirchenruine gab die Band um Michael Stipe ihr erstes Konzert – und einem Imbiss klaute sie den Slogan, der zum Titel ihres erfolgreichsten Albums wurde.
„Es muss schnell gehen“, sagt Paul Butcher. „Essen bestellt – und zack, schon ist es auf dem Tisch.“ Der 51-Jährige hat seine Gäste zum Weaver D’s verfrachtet. Auf dem Schild am Eingang steht „Automatic for the People“. Doch das Fast-Food-Restaurant hat heute geschlossen, und der Mittagssnack fällt aus. „Der Betreiber hat dem Diner diesen Beinamen gegeben, wohl um den schnellen Service zu betonen. R.E.M. hat das irgendwie gefallen.“
Als das achte Studioalbum 1992 veröffentlicht wurde, gab es für R.E.M. schon längst einen Automatismus: Nach dem Kommerz-Kracher „Out of Time“ konnte die Band aus Athens im US-Staat Georgia eigentlich nichts mehr falsch machen. Gerade mit dem Album „Automatic for the people“ nicht. „Alles, was sie anfassten, wurde zu Gold“, erinnert sich Butcher. „Automatic for the people“ wurde die erfolgreichste R.E.M.-LP.
Paul Butcher, heute graubärtig bis zum Brustbein und Fassadenmaler, war Weggefährte der einstigen Alternativ-Rock- und dann zur Popkombo mutierten Band um Leadsänger Michael Stipe, die vergangene Woche nach 31 Jahren ihre Trennung bekannt gegeben hat. Und wenn er R.E.M.-Fans durch sein Athens führt, schneidet er sich eine hauchdünne Scheibe ab vom Erfolg der Überband, die nun Geschichte ist . Dann gibt er sein Insider-Wissen von damals preis. Er setzt er sich in den klimatisierten Bus von „Classic City Tour“ und fängt an zu erzählen.
Wenn er ins Plaudern gerät, können das Menschen wie Linda aus Toronto gar nicht abwarten. Die 60-Jährige mit der blondierten Helmfrisur kann ihre Unruhe nicht verbergen. Als Erste huscht sie, jugendlich gekleidet in Jeans und Sandalen, ins kühle Innere des Busses. „Seit 30 Jahren verfolge ich R.E.M.“, sagt sie. „Und – Sie werden es nicht glauben – ich habe sie nie live gesehen.“ doch heute Abend wird die dienstalte Anhängerin ihre Chance bekommen – wenn auch bei einer Art Stellvertreterkonzert.
Plausch im Plattenladen
Der Bus rumpelt durch die Straßen der Uni-Stadt Athens im tiefen Süden Georgias, vorbei an viktorianischen Villen. Vor einem Haufen Backsteinen, einst eine Kirche, bremst der Fahrer ab: „Hier haben R.E.M ihr erstes Konzert gegeben, sie spielten Coversongs aus den Sechzigern“, sagt Butcher mit bartgedämpfter Stimme. Seine Augen glänzen unter der Schirmmütze.
Es war am 5. April 1980, als die junge College-Band vor 200 Leuten in der St. Mary’s Episcopal Church, schon damals eine Ruine, ihren ersten Auftritt hatte. „Die hießen damals Twisted Kites, erst am Tag des Gigs benannten sie sich um.“ Butcher hat Bilder von damals mitgebracht. Sie zeigen den Kunststudenten Michael Stipe – und die Plattenverkäufer Peter Buck, Mike Mills und Bill Berry, die ebenfalls am College eingeschrieben waren. Damals waren sie frisch, der Tatendrang der Weltverbesserer stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Während diese junge Folk-Indie-Band um Michael Stipe bald in einen millionenschweren Pophimmel aufsteigen sollte, hätten sich an diesem Abend auch für Butcher die Weichen für ein anderes Leben stellen können. „Wir spielten als Vorband, ich war der Drummer der Side Effects.“ R.E.M. spielten bald mit Weltstars wie The Police zusammen, Butchers Band blieb – Nomen est omen – ein Nebeneffekt. „Popstar zu werden, das hätte sicher eine Menge Spaß gebracht – aber auch einen Sack voller Arbeit.“
Im Falle von R.E.M. bedeutete Arbeit in 31 Schaffensjahren: 15 Studio-Alben, 63 Mal Platin und ein Leben als Weltreisende. Überall füllten sie Stadien. „Aber sie blieben ihrer Heimat immer treu“, sagt Butcher. „Sie behielten Büros in Athens und leben immer noch hier.“
Geburt von „Losing my Religion“
Der Tourbus mit Linda und einem Dutzend anderer Fans fährt an einem grün getünchten Holzhaus vorbei: „Ach hier, die Wände habe ich gestrichen“, so der Graubart. Peter Buck habe hier gewohnt, jetzt lebe dort noch seine Ex-Frau. „Das Wichtigste ist aber: Hier hat der Gittarist den Songtext zu ‚Losing my Religion‘ geschrieben.“ Am Ende seiner Kräfte sein – das ist die Bedeutung des Titels. Doch 1991, als Buck die Lyrics schuf, konnten sie noch gar nicht symbolisch für die Trennung der Band stehen, zu kometenhaft war der Aufstieg.
Doch nun ist Schluss. Und mit einem Blick ins Schaufenster des Wuxtry Record Store in Athens hätte man das auch schon seit dem 12. März 2011 erahnen können: Hier wird das im Frühjahr erschienene Album „Collaps into Now“ angepriesen, das letzte R.E.M.-Studioalbum – aufgenommen in Berlin. Es klingt mit schon einmal gehörten Songstrukturen – vor allem im Titel „Überlin“ – wie ein retrospektives Vermächtnis. Zusammen mit dem Titel klingt es ein bisschen, als hätten Stipe und Co. den baldigen Kollaps der Band ankündigen wollen.
Vor Wuxtry-Records, dem ältesten Plattenladen der Stadt, in dem Ex-R.E.M.-Gitarrist Buck einst die Platten über den Tresen schob, hat sich eine Traube gebildet. Die Teilnehmer der R.E.M.-Stadtführung haben Butcher zum Abschied schon die Hand gedrückt, jetzt aber sollen die Stars auflaufen. Um fünf spielt hier das Baseball Project.
So nennt Peter Buck sein Musikprojekt, hatte Linda im Bus erzählt. Mit halbstündiger Verspätung trudelt er ein: Peter Buck persönlich, in Begleitung von Scott McCaughey und Steve Wynn, die den Fans schon bekannt sind. Mit einigen Songs machen sich die Musiker warm für den Abend. Das Publikum nickt, Hände mit Foto-Handys wippen in der Luft.
Nächtliches Wiedersehen mit den Stars
Linda steht in der ersten Reihe, an die Brüstung gelehnt, mit ihrem seligen Blick wirft sie imaginierte Vorschusslorbeeren um sich. Und auch Butcher darf nicht fehlen und steht Bier schlürfend in der begeisterten Menge.
Dann tritt es auf, das 2007 gegründete Alter Ego von R.E.M.: The Baseball Project. Der Gitarrist ist zwar das einzige Bandmitglied, das zu R.E.M. gehörte. Doch später am Abend rackert sich auch Bill Berry, bis 1997 R.E.M.-Drummer, an einer Gitarre ab. Und ins Publikum mischt sich Bassist Mike Mills, mit langem grauem Haar. Nur Michael Stipe lässt sich nicht blicken.
Wer das Baseball Project erlebt, hört R.E.M. in einer Version mit der Nähe zu Bluegrass und Country. Als würden die Musiker in einer Verjüngungskur zu ihren in den Genres des Südens verankerten Wurzeln zurückkehren.
„It’s the end of the world as we know it“ lautet die Zeile aus einem Song von 1987, den die Band noch vor dem ganz großen Durchbruch veröffentlichte. „And I feel fine“ – heißt es darin: Das dürfte auf die Band auch jetzt zutreffen, nach ihrer Trennung in gegenseitigem Einvernehmen, wie es heißt.
Über das Ende von R.E.M., ihre Lieder und Konzertanekdoten dürften auch die Stammgäste im Manhattan Cafe fachsimpeln – es ist der Lieblingsclub von Paul Butcher, in dem sich regelmäßig Fans treffen: „Alles alte Freunde von R.E.M.“, sagt Butcher. Schnell gehen muss jetzt gar nichts mehr.
Quelle: http://www.spiegel.de/reise/staedte/0,1518,788697,00.html
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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.