Re: R.E.M.

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annamax

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Markenpflege

Was die FDP von R.E.M. lernen kann

Von Sebastian Hammelehle

Ausgerechnet die Partei der Betriebswirte merkt es viel zu spät: Ein Markenkern will gepflegt sein! Wie das geht, machen R.E.M. vor – gerade in Zeiten boomender Revivalkonzerte ist ihre Auflösung der richtige Schritt.

Nicht, dass Sie an dieser Stelle damit gerechnet hätten. Selbst im Fall der nun hingeschiedenen Drei-Buchstaben-Band R.E.M. besteht Anlass, auf die womöglich recht bald hinscheidende Drei-Buchstaben-Partei FDP hinzuweisen. Nicht nur, dass auch die sich früher mit Pünktchen schrieb. Kürzlich merkte ihr Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Kubicki auch an, die Partei müsse ihren Markenkern aufpolieren – und brachte damit unwissentlich den ökonomisch gesehen einzigen guten Grund für die Auflösung der Erfolgsband aus Athens, Georgia auf den Punkt.

Auf den ersten Blick mag das widersinnig erscheinen. Sind es doch die großen, tradierten Markennamen, mit denen sich in der Musikbranche auch in kargen Zeiten Geschäfte machen lassen. Als ginge es darum, Rilkes beliebtes „Herbsttag“-Axiom auf den Pop auszuweiten, sind es gerade Musiker, die schon vor Jahrzehnten die vermeintlich einengende Bandkarriere gegen eine Sololaufbahn eingetauscht hatten, die sich im beginnenden Karriereherbst ein wärmendes, sicheres Plätzchen im Musikgeschäft suchen: Wer jetzt keine Band hat, findet keine mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben – besonders im Konzertsaal.

Wer möchte beispielsweise Terry Hall solo sehen? Kommt er aber, wie derzeit, mit The Specials auf Tour, ist die Aufregung groß – und das 30 Jahre, nachdem sich die englische Skaband auf dem Höhepunkt ihrer Karriere nach der Single „Ghost Town“ aufgelöst hatte. Frank Black, allein erfolglos, kam mit den Pixies zurück, Stephen Malkmus mit Pavement, Kevin Shields mit My Bloody Valentine.

Aber all das ist nichts gegen das Phänomen des komplett aufgeführten Albums: Heaven 17, als New-Wave- und Elektronik-Pioniere des Live-Muckertums eigentlich unverdächtig, brachten vor einiger Zeit ihr Großwerk „Penthouse and Pavement“ zur Aufführung. Primal Scream spielten „Screamadelica“ noch mal, Public Enemy gar „Fear Of A Black Planet“. Wo der entscheidende Star tot ist, bleibt, wie derzeit im Fall von Nirvanas „Nevermind“, zumindest die großflächige Bauzaunplakatierung zum 20-jährigen Bestehen des Albums.

Ein Soloauftritt von Michael Stipe, Mike Mills oder Peter Buck dürfte dagegen gerade wegen des Ex-R.E.M.-Stickers auf Album oder Tourplakat viel weniger glanzvoll ausfallen. Solokarriere: mit Sicherheit das allerkleinste neue Ding im Musikgeschäft.

Die Auflösung der Band kann nur der erste Schritt auf dem Weg zur endgültigen Überhöhung des Trios sein – in Form eines Comebacks, das dann, anders als bei einer Gruppe, die einfach nur lange besteht, den Zauber des Einmaligen, der Wiederkehr von Totgeglaubten hat. Das Christentum erzählt davon in etwas komplexerer Weise; eine Analogie, die Stipe durchaus gefallen könnte.

Philipp Rösler, der nach der Wahl in Berlin die „schwierigste Situation“ seit Bestehen seiner liberalen Partei diagnostizierte, wäre deshalb gut beraten, dem Beispiel von Michael Stipe zu folgen: FDP auflösen, jetzt! Nach ihrem Comeback schafft sie es dann locker über die Fünfprozenthürde.

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,787735,00.html
R.E.M. dürfen gerne noch mal wiederkommen, die FDP kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.