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Sie sind wieder hungrig
R.E.M. begeistern 10 500 Fans beim Regenkonzert in Stuttgart
Selbst den Regen hatten die 10 500 Besucher des R.E.M.-Open-Airs im Ehrenhof des Neuen Schlosses in Stuttgart bald vergessen, denn die US-Band bot ein mitreißendes, sehr rockiges Konzert.
UDO EBERL
Stuttgart Spätestens als man R.E.M. fernseh- und familientauglich in der Samstagabendshow „Wetten dass . . . ?“ hatte erleben dürfen, kamen etliche Fans ins Zweifeln, ob der Begriff Alternative für die Band um Michael Stipe noch in irgendeiner Weise passend ist. Und nun spielten sie also im Ehrenhof des Neuen Schlosses in Stuttgart, eher einem Ort für gängigen Pop, für Gesetztes von Udo Jürgens bis Sinatra oder Klassik – wenn auch die beste Open-Air-Adresse in Stuttgarts Mitte. Passt, hätte man schmunzelnd denken können, doch man sollte die Selbsterneuerungskräfte wahrer Künstler niemals unterschätzen.
Zunächst zum Ort des Geschehens als solchem. Der Schlossplatz wurde erstmals bei einem Freiluftkonzert nicht nur bis zur Jubiläumssäule, sondern komplett abgesperrt. Schlechte Karten also für Mithörer. Picknick-Stimmung wollte beim heftigen Gewittersturm vor dem Konzert und dem Dauerregen bis zur Mitte des R.E.M-Auftritts sowieso nicht aufkommen. Warum die stattliche Schloss-Kulisse allerdings nicht freundlich illuminiert, stattdessen aber mit Trucks verstellt wurde, blieb ein völliges Rätsel. Da wurde stimmungstechnisch doch einiges verschenkt. So gesehen hätten R.E.M. auch auf jeder grünen Wiese spielen können.
Ein Geschenk fürs Publikum hatten die selbst- und qualitätsbewussten Hauptprotagonisten mit der Vorband „Elbow“ auf die Bühne gestellt. Nichts da mit profanem Warm-up und schlecht abgemischtem Pop-Pudding. Die Herren aus Manchester boten die geradezu ideale Begleitmusik für den Nieselregen, voller Melancholie und Finesse. Im Mittelpunkt das aktuelle Album „The Seldom Seen Kid“. Neben den Rocksongs beeindruckten durchsichtig arrangierte Stücke, die mit Live-Streicherinnen luftig aufgepolstert wurden. Darüber Guy Garveys wunderbare Stimme. Was für ein Start in den Konzertabend.
Dieser wurde von Sänger Michael Stipe, Gitarrist Peter Buck und dem Bassisten Mike Mills mit „Supernatural Superserious“ gleich mit Hit-Power begonnen. Stipe mit einem Paar Ersatzschuhe auf die Bühne kommend, hatte sich wohl einiges vorgenommen. Der Eindruck sollte nicht täuschen, denn diese Band hat Lust – daran, auf der Bühne zu stehen, richtig zu rocken und zu rabauken, den Regen vergessen zu machen und all die seichteren Momente der Vergangenheit, all den Quark, den niemand brauchte. Hungrig klangen sie, leidenschaftlich. Nichts da mit Schmusekurs und Hitparade.
Die Realität, dass der Platz nicht ausverkauft und selbst R.E.M. mittlerweile nur noch wie von selbst ziehen, wenn gerade ein gut verkaufbares Album auf den Markt gekommen oder ein Hit in den Charts gelandet ist, schien die Herren nicht zu jucken. Ran an den Speck, hieß die Devise mit dem Material des Draufgänger-Albums „Accelerate“. Politisch wurde man mit „Ignoreland“ , eine Hommage an den Regentag gabs mit dem frühen „South Central Rain“, dazu die Versicherung Stipes: „Ich habe den Regen nicht mitgebracht.“
Energie hatte er dafür jede Menge im Gepäck, witzelte mit den Fans in den ersten Reihen, nahm später gar leutselig ein Bad in der Menge. Der Charakterkopf, der durchaus ein geeigneter Batman-Gegenspieler sein könnte und der sich mit seinen abwegigen Armbewegungen und Zeitlupenbreakdance bisweilen in eine lebende Popskulptur verwandelte, sinnierte darüber, ob sein Bühnenoutfit mit Ringelpulli das eines Mannes in seinem Alter sein könne. Doch es passte, denn bisweilen tendierte die Band mit den eingespielten Begleitmusikern mit Nummern wie „Horse to water“ gar in Richtung Punk.
Alles auf den Punkt. Selbst die halbakustische Männerrunde am Klavier bei „Let me in“ gab sich nicht der Unplugged-Säuselei hin, sondern klang beherzt. Southside-Feeling auf dem Schlossplatz. Wer hätte das gedacht?
Natürlich wurden gegen Ende noch Dauerbrenner wie „Imitation of Life“ oder „Man on the Moon“ gespielt. Doch noch ein wenig Musicbox. Die lärmende Rückkopplung, die bei letzerem Song über dem Jubel der begeisterten Menge stehen blieb, rundete das akustische Erlebnis allerdings perfekt ab. Er lebte, der Alternative-Rock.
Erscheinungsdatum: Donnerstag 21.08.2008
Quelle: http://www.suedwest-aktiv.de/
Ich bin überrascht! Normalerweise ist Herr Eberl eher ein Kritiker, den man an Pur, Grönemeyer oder Joe Cocker ranlassen würde.
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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.