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R.E.M. in Stuttgart
Ein Aufstand zorniger, alter Männer
Stuttgarter Nachrichten von Gunther Reinhardt vom 20.08.2008
Stuttgart – Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn es nicht geregnet hätte. Wenn die 10500 Fans am Dienstag beim Auftritt von R.E.M. auf dem Stuttgarter Schlossplatz nicht völlig durchnässt worden wären.
Doch eigentlich hätte es auch noch donnern und blitzen müssen, wie einige Stunden vor Konzertbeginn. Der Wind hätte den Fans die Regenschirme aus den Händen reißen, sie quälen müssen. Denn wie ein Orkan toben R.E.M. durch ihr aktuelles Album: Die Songs auf „Accelerate“ taugen nicht für Sonnenschein. Nach dem sanften „Around The Sun“, das sich ja sogar im Albumtitel sonnig gab, sind R.E.M. nun zum Rabaukenrock der frühen Jahre zurückgekehrt, lassen es wieder krachen und scheppern.
Und während den Fans der Regen ins Gesicht prasselt, hauen die Helden des Alternative Rock ihnen wütende Riffs um die Ohren. Es klingt nach einem Aufstand zorniger, alter (oder zumindest nicht mehr ganz junger) Männer, den am Dienstag Michael Stipe (48), Mike Mills (49) und Peter Buck (51) assistiert von Scott McCaughey und Bill Rieflin in Stuttgart anzetteln. Schon durch den Opener „Supernatural Superserious“ dröhnt Sturm und Drang. Später tut „Hollow Man“ erst betulich, türmt sich dann aber verzweifelt auf und offenbart eine lange vermisste Dringlichkeit. Und bei „Bad Day“ flirtet die Band aus Athens, Georgia, unverschämt mit dem Punkrock.
Während Guy Garvey, der Sänger der tollen Vorgruppe Elbow, die Aufregung ums schlechte Wetter nicht versteht („Wir kommen aus Manchester; bei uns ist es jeden Tag so“), fühlt sich Michael Stipe doch verpflichtet, jede Schuld von sich zu weisen: „Ich habe den Regen nicht bestellt“, sagt er, als er den aufmüpfigen Song „Living Well Is The Best Revenge“ ankündigt, der wie so viele Songs von R.E.M. eine Abrechnung mit der politischen Situation in den USA ist.
Zwar gibt es auch die unvermeidlichen Singalong-Hits wie „The One I Love“, „Losing My Religion“ oder das mit einem grandiosen Feedback das Konzert beendende „Man On The Moon“ zu hören. Doch ganz anders geht es auf dem Schlossplatz zu als beim Konzert von R.E.M. vor drei Jahren in der Schleyerhalle. Damals erlebte man die Band noch sanftmütig, balladenverliebt – auch wenn sie damals schon den Song „I’m Gonna DJ“ im Programm hatte, der erst jetzt auf Platte veröffentlicht wurde und in dem Stipe vergnügt den Weltuntergang herbeisehnt. Diese Lust an der Apokalypse steigern R.E.M. am Dienstag noch, indem sie in den Zugaben ihren Klassiker „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ im Schnelldurchlauf entstauben.
Während sich Stipe in den meisten Songs ungestüm, wütend, aufbrausend gibt, wirkt er zwischen den Liedern ungewohnt ausgelassen, erzählt Anekdoten, scherzt mit seinen Kollegen darüber, ob ein Pappschild, das ein Fan hochhält, eher einen Engel oder einen monströsen Schnauzbart darstellt. Und bevor R.E.M. „South Central Rain“ spielen, verrät Stipe, dass die Band die Nummer nur darum kurzfristig ins Programm genommen hat, weil sie nach einigen sonnigen Tagen bei der Anreise nach Stuttgart fast schon so ein Unwetter geahnt hatte und unbedingt einen Song mit „Rain“ im Titel haben wollte. Nur für den Fall der Fälle.
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