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Napoleon DynamiteDer Vergleich mit Ophüls, der sehr oft gezogen wird, ist meiner Meinung nach etwas unfair und eigentlich auch irreführend. Ophüls war Saarländer, seine Filme besaßen schon französisches Flair, als er noch mit Gründgens und Rühmann drehte, die Bezugspunkte waren über französische Erzähltradition hin zur Wiener Moderne und Stefan Zweig oder Louise de Vilmorin immer die letzten Ausläufer einer mählich verschwindenden Welt. Die Filme von Käutner blieben hingegen stets deutsch und kontemporär, selbst wenn sie auf einem französischen Bühnenstück basierten und im England des 18. Jahrhundert spielten (das wunderbare Musical „Das Glas Wasser“!).
Da hast du Recht, ich kenne Käutners Biographie nicht, aber vielleicht ist es ja genau dies, was ihn hier hielt.
Napoleon DynamiteDie meisten Regisseure übten sich in Eskapismus und Verklärung – Käutner entzog sich dem durch milde Verweigerung, drehte Filme darüber, was es heißt, in Deutschland zu leben, innerlich aber woanders zu sein. „Unter den Brücken“ ist hier sicherlich das bekannteste und auch beste Beispiel, ein nicht minder überzeugendes entdeckt man aber auch beispielsweise mit seiner großartigen Antonioni-Verbeugung „Die Rote“:
„Die Rote“ gehört leider zu den Käutner-Filmen, die ich nicht kenne – wird nachgeholt, ein Anschluss an die Haltung von „Unter den Brücken“ kann nur Gutes bedeuten.
Napoleon DynamiteDrei Jahrzehnte, da veränderten sich die Inszenierungskonventionen mehrfach. Ob Käutner sie bediente oder sich darüber hinwegsetzte, müsste man deswegen schon von Film zu Film entscheiden. Ich würde die meisten mindestens im Detail verteidigen.
Und da sind wir auch vereint. Einen schlechten oder vielleicht sogar durchschnittlichen Film kenne ich von ihm nicht, dennoch halte ich keinen für so gelungen, wie die besten Filme aus dieser Zeit. Hier dann noch mal einen Dank für deinen Hinweis auf Kurt Hoffmann! Die Filme, die ich bis jetzt sehen konnte, sind ihrer Zeit sehr weit voraus, ganz entrückt, vollkommen singulär und aufgeblasene „Staatsschauspieler“ wie O.W. Fischer sind zum Glück weit weg.
Napoleon DynamiteSeine Filmografie erzählt eine Geschichte darüber, wohin sich der deutsche Film von den 40er- bis in die 60er-Jahre bestmöglich entwickeln konnte und woran er dennoch immer wieder scheiterte.
Und das trifft es dann perfekt, nicht nur Käutners Karriere, sondern auch meine Beziehung zu ihr. Es ist wirklich wie bei Vohrer, beides ganz tolle Regisseure, die im Großen und Ganzen den meisten ihrer Zeitgenossen immer einige Schritte voraus waren, aber auch immer wieder stolperten.
Das ist auch das generelle Problem, das ich mit dem deutschen Film der 50er und 60er habe, es zieht sich durch viele, viele Produktionen dieser Zeit. Die Edgar Wallace-Reihe ist ein schönes Beispiel:
Bis 1966 drehte man Filme, die immer zwischen Althergebrachtem und neuen Wegen schwankten, richtig Schwung kam erst danach, Vohrer übernimmt die Leitung und die Gesellschaft hat sich etwas gewandelt. Es bahnte sich ein eigenständiges deutsches Genrekino an:
Vohrer drehte seine besten Filme in dieser Zeit, im geringeren Maße auch Harald Reinl oder Ernst Hofbauer, Thome, Lemke und Klick fingen an zu drehen und Brynych, Franco oder Marran Gosov drehten in Deutschland Unglaubliches. Viele meiner deutschen Lieblingsfilme sind in diesen Jahren (ca. 1966 – 1972) entstanden.
Man kapselte sich zunehmend von klassischer Narrative und Didaktik ab (nur um dann später wieder dahin zurückzukehren), und vertraute endlich in Gänze darauf, dass Bilder dasselbe und noch mehr erzählen können.
Leider kenne ich keinen einzigen von Käutners (Fernseh-)Filmen („Robin Hood, der edle Ritter“, „Bel Ami“, „Tagebuch eines Frauenmörders“ etc.) aus diesen Jahren, es würde mich sehr interessieren, ob er dort dann auch noch andere Wege beschreiten konnte. Kennst du die?
Aber schon ein paar Jahre später war der Zug wieder abgefahren und Routine kehrte ein (demletzt habe ich hier Reinls „Kommissar X jagt die roten Tiger“ mit seinen Jerry Cotton-Filmen verglichen, da sieht man es, wie ich finde, ziemlich gut):
Brynych durfte nach den drei katastrophalen Flops hier nur noch für das Fernsehen drehen (aber was für großartige Sachen!), Franco zog weiter, Gosov wurde Musiker, die jungen Genrefilmer wurden noch mehr zu Schmuddelkindern, als sie es ohnehin schon waren und die Alten verschwanden zunehmend in der Bedeutungslosigkeit.
Auf einen einen zweiten Zündfunken, Dominik Grafs großer Erfolg mit „Die Katze“, reagierte man 1988 dann schon gar nicht mehr.
Heute Abend werde ich noch „Epilog – Das Geheimnis der Orplid“ schauen und dann, zur besseren Einordnung, mal Sterne an Käutner verteilen. Die würden mich von dir auch sehr interessieren.
http://forum.rollingstone.de/showthread.php?45974-Helmut-K%E4utner
Napoleon DynamiteNachklapp, vor einigen Tagen den geilsten aller geilen Brynych-Filme wiedergesehen:
Unter allen Filmen, die ich schon kenne, aber zumindest noch einmal als nicht-digitalisierte Fassung im Kino sehen möchte, ist das meine Nummer eins.
Hach, ein Kino, das tagein und tagaus Brynychs Filme zeigt, das wäre groß!
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