Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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napoleon-dynamite
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Sorry, Nick, ich habe in den letzten Tagen hier nicht vorbeigeschaut – sonst hätte ich viel früher geantwortet, geht es doch um einen meiner Lieblingsregisseure, der sonst im Forum keine allzu große Rolle spielt.

Nick LonghettiMir ging es aber mehr um Napos Statement davor und wie Käutner dazu passt. Er erscheint mir momentan eher als Fremdkörper in dieser Aufzählung, denn als wirklich vollkommen frei und von unbekümmerter Schönheit würde ich eigentlich nur die Filme von 1943-1947 bezeichnen. Alles andere steckt doch mal mehr mal weniger in Konventionen, denen Käutner im Gegensatz zu Lemke, Thome und Brynych, von Hoffmann kenne ich noch zu wenig, nicht vollständig entwischen konnte. […] Wäre Käutner wie Sirk oder Ophüls ins Ausland gegangen, würde er heute vielleicht auch als einer der ganz Großen gelten.

Der Vergleich mit Ophüls, der sehr oft gezogen wird, ist meiner Meinung nach etwas unfair und eigentlich auch irreführend. Ophüls war Saarländer, seine Filme besaßen schon französisches Flair, als er noch mit Gründgens und Rühmann drehte, die Bezugspunkte waren über französische Erzähltradition hin zur Wiener Moderne und Stefan Zweig oder Louise de Vilmorin immer die letzten Ausläufer einer mählich verschwindenden Welt. Die Filme von Käutner blieben hingegen stets deutsch und kontemporär, selbst wenn sie auf einem französischen Bühnenstück basierten und im England des 18. Jahrhundert spielten (das wunderbare Musical „Das Glas Wasser“!). Seine Filmografie erzählt eine Geschichte darüber, wohin sich der deutsche Film von den 40er- bis in die 60er-Jahre bestmöglich entwickeln konnte und woran er dennoch immer wieder scheiterte. Die meisten Regisseure übten sich in Eskapismus und Verklärung – Käutner entzog sich dem durch milde Verweigerung, drehte Filme darüber, was es heißt, in Deutschland zu leben, innerlich aber woanders zu sein. „Unter den Brücken“ ist hier sicherlich das bekannteste und auch beste Beispiel, ein nicht minder überzeugendes entdeckt man aber auch beispielsweise mit seiner großartigen Antonioni-Verbeugung „Die Rote“:

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Drei Jahrzehnte, da veränderten sich die Inszenierungskonventionen mehrfach. Ob Käutner sie bediente oder sich darüber hinwegsetzte, müsste man deswegen schon von Film zu Film entscheiden. Ich würde die meisten mindestens im Detail verteidigen. Selbst ein so hundslangweiliges Biopic wie „Ludwig II: Glanz und Ende eines Königs“, denn:

Napoleon DynamiteEigentlich möchte man allem, was an dem Film toll ist, jeweils das entgegenhalten, was bei Visconti besser ist, aber dann gibt es eben doch diese eine Szene: O.W. Fischer und Ruth Leuwerik reiten zu Wagners Tristanakkord im Nebel durch den Wald, und das ist natürlich die eine Sequenz, die Trier dutzendfach gesehen haben muss, bevor er „Melancholia“ drehte.

Nachklapp, vor einigen Tagen den geilsten aller geilen Brynych-Filme wiedergesehen:

gypsy tail wind
Vorhin im Kino: Sauve qui peut (la vie) (Jean-Luc Godard, CH 1980) – ni ange, ni bête, ni dieu, ni maître – feine Sache, dieser Film!

Unter allen Filmen, die ich schon kenne, aber zumindest noch einmal als nicht-digitalisierte Fassung im Kino sehen möchte, ist das meine Nummer eins.

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A Kiss in the Dreamhouse