Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Viva la muerte – Es lebe der Tod
(Regie: Fernando Arrabal – Frankreich/Tunesien, 1970)

Der junge Fando wächst in einem Armutsviertel in Spanien auf. Um ihn herum herrscht Chaos: Der abebbende Bürgerkrieg, religiöser Fanatismus durch die Kirche – und besonders: Seine alleinerziehende Mutter, die vor ihm das Geheimnis des Schicksals seines Vaters versteckt. Als Fandos Vater einst mit kommunistischen Gedankengut liebäugelte, wurde er von der eigenen Ehefrau verraten und ins Gefängnis gebracht. Fando begibt sich auf eine spirituelle Reise zwischen Realität und Traum, auf der Suche nach seinem Vater…

„Viva la muerte“ war der Wahlspruch der Falangisten während des Spanischen Bürgerkriegs, welcher einem zu Beginn des Films, der auf Kindheitserinnerungen von Fernando Arrabal beruht, die er in seinem autobiographischen Buch „Baal Babylon“ zusammenfasste, um die Ohren gehauen wird. Der Krieg ist zwar beendet, noch immer sinnen die Faschisten aber auf Rache und wollen ihre Gegner und Feinde mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Der Satz entwickelt eine ganz eigentümliche Wirkung, nachdem man im Vorspann Zeichnungen von Roland Topor gesehen hat, die an die Todesvisionen von Peter Brueghel erinnern („Der Triumph des Todes“, 1562) – unterlegt von einem fröhlichen, dänischen Kinderlied („Ekkoleg“), das die Bilder der Folter, des Schmerzes und des Sterbens zu konterkarieren scheint.
Später im Film wird klar, dass hier die gepeinigte und zerrissene Seele von Fando einen ersten Ausdruck findet. Der kleine Junge auf der Schwelle zur Pubertät, der ohne Vater in einem streng katholischen, ärmlichen Haushalt aufwächst, weiß mit den unverständlichen Regeln und Ritualen nichts anzufangen, denen sich die Erwachsenen unterwerfen. Schlimmer wird dies, als er Briefe findet, die darauf hinweisen, dass seine strenggläubige Mutter seinen Vater, einen Unterstützer der Kommunisten, an die Falangisten verraten hat. Arrabal zeigt dies in surrealen Phantasien und Tagträumen, die er durch grobe Farbfilter und das Benutzen von Video (!) anstelle von Film deutlich von den realen Ereignissen abgrenzt. Fando wehrt sich in seiner Gedankenwelt gegen die Bigotterie der Umgebung und ihre selbstgerechte Lebensweise.
Weder die faschistischen Soldaten, noch die Polizei müssen hier für „Ordnung“ sorgen, es sind vor allem die katholischen Frauen, die durch ihre Ergebenheit zur Religion das faschistische Prinzip vollkommen verinnerlicht haben und im vorauseilenden Gehorsam handeln, um ihrem „Führer“ zu gefallen bzw. ihn nicht zu erbosen.
Obwohl „Viva la muerte“ selten wirklich explizite und exploitative Gewalt zeigt, wenn man von den Tiertötungen absieht, die von einem Käfer bis zu einem Stier/Bullen reichen, sind so gut wie alle Gewaltszenen unangenehm anzuschauen, selbst Groteskes/Überzeichnetes wie das Defäkieren einer Frau auf ihren Mann oder die Hinrichtung eines Schwulen mit einem Schuss in den Hintern hinterlassen ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube.
Die menschenverachtende Verquickung von Katholizismus und Faschismus bürdet Fando nicht nur den Verlust des Vaters auf, sie lässt ihm auch kein Ventil um seinen Zorn, seine Trauer und seine Wut auszudrücken. Einmal scheint es eine Eruption zu geben, als er seine einzige Freundin schlägt, bis diese weinend davon läuft – dies kann aber auch der Verwirrung geschuldet sein, die der vorherigen inzestuösen Geißelung der Mutter entspringt, zu der er gezwungen wurde.
„Viva la muerte“ ist ein dunkler, abgründiger Film, der den Umgang eines Kindes mit den Gräueln des Krieges und die Unterdrückung durch Familie und Gesellschaft auslotet. Dies geschieht nicht ohne Humor, der wie ein scharfes Messer aber eher noch mehr Schmerzen ans Tageslicht bringt. Auch der Soundtrack trägt dazu bei, dass Arrabals erster Kinofilm ein Meisterwerk des Surrealismus ist. Grandios.

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=qkrCh8NoPlU

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