Re: Was liest der Forumianer im Moment?

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friedrich

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Feridun Zaimoglu – Siebentürmeviertel (2015)

Ich habe diesen 800-Seiten Wälzer vor einer Weile geschenkt bekommen und kämpfe mich da durch. Das erste mal habe ich das Buch nach gut 50 Seiten weggelegt. Dann habe ich noch mal von vorne angefangen und nähere mich ggw. der 300er Marke. Leider machen sich bei mir aber jetzt erneut Ermüdungserscheinungen bemerkbar.

Zaimoglu erzählt in einer Vielzahl mehr oder weniger miteinander verbundener Anekdoten von der Kindheit des deutschen Jungen Wolf im Istanbuler Exil zu Beginn des Krieges. Da wimmelt es von urig-skurrilen Bewohnern des Istanbuler Siebentürmeviertels: Wolfs Freunde, seine Gasteltern, „Große Brüder“, Arme, Reiche, Verbrecher, Priester, Hellseher, Verrückte, Einäugige und Nasenlose, Türken, Griechen, Kurden und Armenier, ein Panoptikum von Figuren, die sich da tummeln und mischen. Diese Welt wird zusammengehalten durch Rituale, Ehre, Aberglauben, Liebe und Eifersucht, Gewalt und ein komplexes Geflecht persönlicher Beziehungen. Zaimoglu erzählt davon in einer – sag ich mal – Sprache, die mehr fabuliert als beschreibt, in Gleichnissen, poetischen Überhöhungen und blühenden Wortspielen. Wie ein Märchen oder eine Räuberpistole. Faszinierend aber auch irritierend und verwirrend, zumal bis Seite 300 kaum ein durchgehender Handlungsstrang erkennbar ist. So sehr Zaimoglus sprachgewaltiges Fabulieren seinen Reiz hat, so sehr wird das mit der Zeit aber auch ermüdend, da sich das immer-und-immer wiederholt, ohne das ich das Gefühl habe, vom Fleck zu kommen und ich damit etwas das Interesse daran verliere, was im nächsten Kapitel steht, was nicht auch schon im letzten oder vorletzten Kapitel gestanden haben könnte.

Oder verstehe ich da was falsch?

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)