Re: Was liest der Forumianer im Moment?

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gypsy-tail-wind
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soulpopehttp://www.nytimes.com/2015/08/17/books/review/ta-nehisi-coates-between-the-world-and-me.html?_r=0

IMO eine interessante Besprechung ….

Hm, gut, ich bin nicht Elternteil schwarzer Kinder in den USA, die wohl vor dem Hintergrund (und dem Baldwin-Vergleich) zu sehende Erwartungshaltung der Rezensentin teile ich gar nicht.

Reading the book the second time, I held no expectation that the big questions would be answered. I knew they wouldn’t be. It seemed that Coates was doing for his son what his own father had done for him: demand that he wrestle with the questions himself. The second time around I could see that maybe, just maybe, this is what is most needed right now — a book that offers no answers but instead challenges us to wrestle with the questions on our own. Maybe this is the time for questioning, searching and struggling without really believing the struggle can be won.

Das fasst dann wohl in meinen Augen die Stärke des Textes zusammen. Auch da: ich masse mir in keinster Weise an, die „korrekten“ (aus Coates‘ Sicht, aus der Perspektive der „schwarzen“ Kultur der USA) Schlüsse zu ziehen – aber gerade die Offenheit des Essays führt dazu, dass man als Leser tief ins Nachdenken kommt.

Und Hoffnungslosigkeit (die die Rezensentin Coates ja auch nur halbherzig unterstellen mag) empfand ich trotz allem gar nicht bei der Lektüre. Im Gegenteil, was mich beeindruckte war gerade die tiefe Menschlichkeit. Und wenn es um die Frage nach den Antworten geht, die Coates uns möglicherweise vorbehalte … ich bin mir nicht sicher, dass die jemand hören will, in ihrer letzten Konsequenz. Sie könnten nämlich so aussehen wie die Watts rebellion (bitte nicht „riots“, das ist wie „Reichkristallnacht“).

Doch wenn man den Faden der Besprechung etwas fortspinnt könnte man auf den Gedanken kommen, dass das Buch möglicherweise eben gerade DOCH an die „Weissen“ gerichtet ist, quasi als untergejubeltes Osterei. Denn es gibt ja andere Antworten als bewaffnete Aufstände, doch – das macht Coates wenigstens an einer Stelle klar (ich habe das Buch bereits weitergereicht, wird wohl ein paar Wochen dauern, bis ich es wieder griffbereit habe) – müssten diese Antworten eben von der Majoritätsgesellschaft (denjenigen, die sich für weiss halten, den „Dreamers“) ausgehen. Das mag nun nicht die Antwort sein, die afro-amerikanische Aktivistinnen hören wollen, die an die Möglichkeit von Veränderung glauben (gar noch mit gewaltlosen Mitteln – Coates‘ Schilderung der Ausdruckslosigkeit der Gesichter der Protestierenden in den Sechzigern ist eindringlich … aber dasitzen und warten reicht eben irgendwann nicht mehr, die Zeiten haben sich unglaublich beschleunigt). Aber – es handelt sich ja immerhin um einen „New York Times Bestseller“ – vielleicht ist ja gerade der „liberale“ (US-Terminologie) Teil der „Dreamers“ gemeint, der im Buch immer wieder sein Fett weg kriegt (und zurecht, möchte man Coates zurufen).

Keine Ahnung, schwierige Fragen jedenfalls, aber mit Sicherheit eine der bewegendsten Lektüren seit langem, in ihrer Schonungslosigkeit und tiefen Menschlichkeit.

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