Re: David Gilmour – On an Island

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pink-nice

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guenterduddaErster Eindruck nach nullmaligem hören:

Einfach gut das Sommeralbum im eiskalten Winter. Ich les überall nur Gutes, sodass sich das Album per Post auf den Weg zu mir macht.

Aus der BZ :

Rentner im Weltraum

Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour hat sich an einem neuen Soloalbum versucht

Jens Balzer
Immerhin hat er sich inzwischen die Haare geschnitten. „Grauenhaft ungepflegt“: so hatte der New Musical Express einst seine Frisur rezensiert, diese elenden Späthippiesträhnen, „die dank einer Überdosis Körperfett am Schädel kleben und sich in Schulterhöhe zu einem spektakulären Gespinst gespaltener Spitzen verdünnen.“ Wer heute noch einmal Bilder aus jenen Jahren betrachtet, stimmt diesem Eindruck unbedingt zu: Mitte der 70er lief David Gilmour herum wie der letzte Loddel. Nötig gewesen wäre das nicht. Er befand sich in der Blüte der Musikerjugend; mit seiner Band Pink Floyd hatte er gerade die erste Fantastilliarde verdient; er war dermaßen berühmt, dass ihm wohl jeder Friseur auf dem Planeten kostenlos den Spliss entfernt hätte. Doch Gilmour wollte nicht, er hatte Gründe. Er sah sich als großen Gitarristen, und ein solcher, antwortete er dem NME, „braucht sich die Haare nicht mehr zu waschen.“
Kaum zu glauben, dass der schmalzige Schlunz seine Karriere als Dressman begonnen hatte. Bilder aus den 60ern zeigen Gilmour gut gekleidet und festen Blicks, mit kantigen Zügen und tadellos sitzenden Haaren. Wenn er nicht als Model (oder Lastwagenfahrer) für Londoner Designer-Boutiquen arbeitete, spielte er in R’n’B-Gruppen namens The Ramblers oder Jokers Wild – bis ihn, Weihnachten 1967, der Anruf einer befreundeten Band namens The Pink Floyd erreichte: Leider sei gerade ihr Gitarrist wahnsinnig geworden, ob David ihn ersetzen könne?
Der gerade wahnsinnig gewordene Gitarrist war ein Jugendfreund: mit Roger „Syd“ Barrett hatte Gilmour schon zu Cambridger Schulzeiten geklampft und sich einen Sommer lang in Südfrankreich als Straßenmusikant herumgetrieben. Mit The Pink Floyd war Barrett zum berühmtesten Musiker des Londoner Psychedelia-Underground aufgestiegen: ein wunderschöner lockiger Knabe, der mit rätselhaft androgynem Auftreten, scharfkantigem Gitarrenspiel und zeitangemessen verstrahlten Songtexten erfreute. Ein junger Fan namens David Bowie brachte es als Barrett-Imitator bald zu Weltruhm – während sich Barrett selbst dank angeborener psychischer Probleme und eskalierenden Drogenkonsums immer rätselhafter benahm und wegen unkontrollierbarem Verhalten im Studio und auf der Bühne aus der Band geworfen wurde.
Was aus The Pink Floyd – die nun das „The“ aus dem Namen strichen – geworden wäre, wäre es nicht zur Trennung von Barrett gekommen, gehört zu den meistdiskutierten Was-wäre-wenn-Fragen der Popgeschichte. Vermutlich wären sie eine gute, innovative, im Feld zwischen Free Jazz und progressivem Rock experimentierende Underground-Band geblieben, etwa so wie ihre Freunde von Soft Machine, mit denen sie Mitte der 60er im Londoner UFO Club die ersten Konzerte absolvierten. Unter der Regie von Gilmour und dem Bassisten Roger Waters mutierten Pink Floyd stattdessen zu einer musikalisch rundum bedeutungslosen Monsterrock-Combo, die in Sachen profitabler Massenbeduselung jedoch lange Zeit ungeschlagen war: ein gewaltiger zugedröhnter postpsychedelischer Koloss, der sein Publikum mit megalomanen Stadionshows niederwalzte. Den ungeheuren Erfolg der Waters-Gilmour-Pink-Floyd erklären jedenfalls weder die pseudointeressanten Klangspielereien, die man auf Alben wie „Dark Side of the Moon“ und „Wish You Were Here“ hört, noch Gilmours sphärisch verhallte, aber harmonisch bodenständig vor sich hin lickende Rhythm’n’Blues-Gitarre. „Pink Floyd sind der Inbegriff der britischen Band“, beschloss der NME seine bereits zitierte Kritik, Mitte der Siebzigerjahre: „Keine andere verkörpert das derzeit in diesem Land so wild wuchernde Gefühl hoffnungsloser Mittelmäßigkeit so sehr wie sie.“
Kurz darauf zerstritten sich Waters und Gilmour und verbrachten die folgenden 25 Jahre damit, einander zu verklagen und mit konkurrierenden Pink-Floyd-Versionen durch die Welt zu touren; erst im vergangenen Jahr kam es beim Londoner Live-8-Event zu einer kurzzeitigen Versöhnung. Wer deswegen auf eine Reunion der Band in der 70er-Jahre-Besetzung gehofft hatte, wurde allerdings enttäuscht. Waters brachte lieber eine Oper zum Lobe der Französischen Revolution zur Vollendung; Gilmour hat nach 21 Jahren Pause jetzt sein drittes Soloalbum vorgelegt. Mit „On An Island“ beweist er einmal wieder, dass er vielleicht ein netter Kerl sein mag (größere Anteile seines gigantischen Vermögens hat er der Obdachlosenhilfe gespendet), aber alles andere ist als ein interessanter Gitarrist.
Das Album besteht aus zehn Geräuschbildern, in denen sich mehr oder weniger zusammenhängende, jedenfalls äußerst bedächtig vorgetragene Gitarrenfiguren in sphärisches Keyboardgewaber hüllen; eine Art Rentner-Ambient, der nicht weiter stört, bei entsprechender Gesamtverfassung vielleicht entspannend wirkt und mit seiner somnambulen Grundstimmung gut bei nächtlichen Autobahnfahrten eingesetzt werden kann. Es gibt einige interessante Studiogäste: Graham Nash und David Crosby singen den Background-Chor im Titelstück; der alte Londoner Weggefährte und Soft-Machine-Mitbegründer Robert Wyatt bläst auf „Then I Close My Eyes“ hübsch ins Kornett. Gilmour selbst aber wirkt so richtungs- und ideenlos wie je: Er ist nicht virtuos, aber auch kein mutiger Dilettant; man weiß einfach nicht, was er mit seinem Gitarrenspiel eigentlich will. Leidenschaft und Dramatik sucht man hier ebenso vergebens wie erinnerungswürdige Melodien oder interessante Harmonik. Wenn man unter den gemächlich gezupften Linien den Keyboardteppich wegzieht, zucken sie nur noch ein wenig herum wie ein Gitarrenlinien-Aal auf dem Trockenen.
Am kommenden Montag feiert Gilmour seinen 60. Geburtstag; Syd Barrett ist zwei Monate zuvor, am 6. Januar, 60 geworden. Seit Mitte der Siebzigerjahre lebt Barrett ausgebrannt in einem Zimmer seines Elternhauses in Cambridge; seit dem Tod der Mutter Anfang der Neunzigerjahre wird er von seinem Bruder betreut. Zwei der berühmtesten Songs der späteren Pink Floyd sind ihm gewidmet: „Wish You Were Here“ und „Shine On You Crazy Diamond“. Sie waren als melancholische Hommagen gemeint – und sind doch so öde und seelenlos wie alles, was Gilmour und Waters je komponierten. Jeder leidenschaftlich verwirrte Ton, den Syd Barrett 1967 spielte und sang, erscheint uns heute näher und rührender. Immerhin das bleibt von Pink Floyd: eines der großen Rätsel, eine der großen Tragödien der Popgeschichte.

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Wenn ich meinen Hund beleidigen will nenne ich ihn Mensch. (AS) „Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn's so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“