Re: BAP – Dreimal zehn Jahre

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kritikersliebling

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Here we go:

BAP – Dreimal zehn Jahre CD 2
Capitol 2005

Die zweite CD beginnt mit einem Song, von dem Niedecken sagt, er hätte ihn in seiner Ursprungsform nie gemocht, da die Musik für den Text viel zu fröhlich war. Nun zeigen BAP, was man mit diesem Song anstellen kann. Die feine Durchhalteparole „Alles im Lot“ wird jetzt durch die zurückgenommene Musik noch verstärkt und wenn es so etwas wie traurige Instrumente gibt, dann gehört eine Trompete wohl dazu. Natürlich darf vom „X für ´e U“-Album ein Song wie „Denn mer sinn widder wer“ nicht fehlen. Nicht, weil er musikalisch besonders erwähnenswert wäre, sondern aus zeitgeschichtlichen Gründen. Wenn dieses Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft ausgespielt wird, könnte der Refrain wieder tagesaktuell werden. „Paar Daach fröher“. Ein Bekenntnis. Schon auf dem „Pik Sibbe“-Album ist es ein Highlight. Was BAP aber jetzt vorlegen ist geradezu umwerfend schön. Nicht nur der wesentlich gefühlvollere Gesang von Niedecken, sondern besonders der Gesang von Gastsängerin Meret Becker. Da wünscht man sich, der Partner verstünde kölsch ebenso, wie man es selbst mitsingen kann. Bei „Widderlich“ fällt mir die Ähnlichkeit der Opener von den Alben „Ahl Männer, aalglatt“, „X für ´e U“ und „Pik Sibbe“ auf. Und jedes Mal machten sie es dem Hörer nicht leicht. Danach entfaltete sich das jeweilig eAlbum dann mehr („Ahl Männer…“, „Pik Sibbe“) oder weniger („X für ´e U“). Hier darf nun Henning von den H-Blockx mitsingen. Ich frage mich allerdings, warum er das darf? Aufgrund alter gemeinsamer Erinnerungen? Soviel trägt er zum Gelingen nicht bei und soviel anders ist der Song auch nicht. Eher verzichtbar. Das kann man über den danach folgenden Song nicht sagen. „Rita, mir zwei“, das erst auf dem „Tonfilm“-Album veröffentlicht wird, hat eine Leichtigkeit in sich, die sich ungewohnt vom restlichen Material absetzt. Mit Hubert von Goisern hat man hier einen Gastsänger verpflichtet, der den Beweis antritt, dass BAP-Songs wohl in jedem Dialekt funktionieren, aber nicht in Hochdeutsch. Die Art, wie er lebhaft mit Schmackes dem an sich schon groovenden Song seine Stimme leiht, unterstützt das Gefühl, bei der Unterhaltung direkt dabei zu sein. So als hätte auch von Goisern Rita eben auf der Straße getroffen. Das Titelstück des „Amerika“-Albums ist ziemlich unter die Räder gekommen. Von dem ursprünglichen Monumentalsong ist nicht viel übrig geblieben. Diese völlig zurückgenommenen Strophen und der jazzige Unterton untermauern die Zeit, in der der Song spielt. Als Zeitblende dient dann der sehr laute Refrain, der sich geradezu wohltuend noch am ehesten am Original orientiert. Dazwischen ist wieder eins dieser Spannung aufbauendes Trompetensolo. Der Song kann einiges vertragen und wird immer groß bleiben. „Nix wie bessher“, der Song, an den auch ich einige Erinnerungen habe, kommt hier mit etwas mehr drive, den er wohl bei zahlreichen Konzerten mitbekommen hat. Auch ein zentraler Song vom „Amerika“-Album.
Vom „Comics & Pinups“-Album kommt mit „Lena“ wohl der schwülste Song von BAP seit „Kumm op ming Sick“. Diese unglaubliche heiße Spannung, dazu der direkte Text. Das gefiel mir schon auf dem Album, aber nun haben sie es noch mal getoppt, indem Marta Jandová von Die Happy (die ich eigentlich nicht so mag) hier als Duettpartnerin auftreten darf. Ihre Stimme ist pure Erotik und passt zu Niedeckens Raunen perfekt. Auch ein klarer Punktsieger. Vom gleichen Album hat man sich noch für „Ahnunfürsich“ entschieden, das jetzt wesentlich entspannter und opulenter klingt. Die Streicher im Hintergrund erinnern mich an einen ganz anderen Song, der mir partout nicht einfallen will. Im Gegensatz zu der Album-Version eine klare Steigerung.
Und nun bitte alles laute ausstellen und gute sechs Minuten still zuhören, gedenken, genießen. „Dir allein“ schloss das „Aff un zo“-Album ab. Da veredelte Sheryl Hackett das Stück mit ihrem Gesang. Hier hat man Xavier Naidoo eingeladen, den Sheryl Hackett sehr mochte, um zusammen mit Niedecken einen an sich schon großen Song noch größer zu machen. Man muss Xavier Naidoos Gesang nicht mögen, aber anerkennen, dass er hier dem Song genau das gibt, was Niedecken in der Stimme fehlt. Allein für diese Version lohnt sich der Kauf dieser Doppel-CD. Tiefe Verneigung.
„Aff un zo“ hat man hier jetzt gekürzt, den Song aber weitestgehend so belassen wie er ist. Bei dem Album wäre es ein leichtes gewesen, einen andern Song auszusuchen, aber so ein Reggea lockert natürlich das Hörerlebnis auf. „Hollywood Boulevard“ als neuer Song im Duett mit Ray Davies. Da trifft der Fan wieder einen seiner Heroen. Ich mag die Version. Und überhaupt: Für irgendwas muss der eigene Bekanntheitsgrad ja gut sein. „Rövver noh Tanger“ und „Unger Krahnebäume“ sind nur marginal verändert und sicherlich nur für die komplette Werkschau aufgenommen. „Nähxte Stadt“ dürfte als Fortsetzung von „Et letzte Leed“ gesehen werden. Hier fällt mir nur auf, dass es, genauso wie der Opener „Dreimohl zehn Jahre“, ziemlich harmlos daherkommt, was mich als gespannten Hörer etwas ratlos lässt, was die Zukunft betrifft.

Resümee:
Eine pickepackevolle Doppel-CD mit mehr Highlights, als die Tracklist vermuten lässt. Alternativ hätte man natürlich den einen oder anderen Song lieber gehabt. Diese Band lebt wieder, wenn auch zum Teil vom Alterswerk.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.