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BAP – Dreimal zehn Jahre
2005 – Capitol
Dreißig Jahre BAP. 30 Songs im neuen Gewand auf einer Doppel-CD. Wer möchte nimmt die Edition mit zugehöriger DVD. Und ich habe es getan und höre seit ein paar Wochen wieder konzentriert BAP und bin von diesem Album erst mal erschlagen. Natürlich kann man alte Songs neu aufnehmen, manchen steht das gut zu Gesicht, andere werden selbst durch strengstes Lifting nicht mehr richtig frisch.
Zum Album. Als Einleitung gibt es einen musikalischen Abriss der drei erlebten Dekaden.
Eine gefällige Musik, nicht spektakulär und mit einem Niedecken, dessen Stimme würdig gealtert ist. Klingt gut. Chronologisch geht es weiter, wobei vom ersten Album kein Song vorhanden ist und es gleich mit „Helfe kann Dir keiner“ in die Vollen geht. Hundertmal stand es irgendwo geschrieben, hundertmal habe ich es irgendwo gelesen. Stimmungstief und eine Neil Young-Akkordfolge waren Auslöser des ersten kölschen Songs. Jetzt neu aufgenommen fehlt ihm das Ungestüme von der Erstaufnahme und auch die in die Jahre gekommenen Dudelsolis bei Livekonzerte sind abgeschliffen. Stattdessen lehnt sich der Song erstmals wirklich an „Cowgirl In The Sand“ an und ja, jetzt klingt er wirklich gesetzt, reif, endgültig. Weiter geht es mit Anna, die schon mal im Reggae daherkam oder im Ursprung aus einem Funk-Barjazzmix oder so entstieg. Nun also eine treibende Rocknummer und auch hier ist die Live- Erfahrung mehrerer Jahre zu hören. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten und auch diese Version tut gut, um der alternativen Anna die Leviten zu lesen. Es scheinen nur Hits zu sein, denn auch „Jraaduss“ ist ein Alltime-Einsamkeits-Gassenhauer. Zudem immer ein Standardsong in meiner ersten Band. Meistens der letzte Song auf einer Probe, wenn nichts mehr ging. In dieser Kammermusikversion wirkt er ebenfalls wie Käse und Wein – reifer. „Ne schöne Jrooß“ ist vielleicht so etwas wie ein Modell eines japanischen Autoherstellers. Immer der gleiche Modellname in immer anderen Ausführungen. Nun also der Sound, wie man ihn seit „Drei Wünsch frei“ nicht mehr gehört hat. Allerdings jetzt mit ausgelassenen Orgel-Fill-Ins und einer fehlenden „Stehplatz-Mitte-Kart vum FC“, weil Felllenker und Wunderbäumchen eben zeitgemäßer sind und zuviel Fußball in Songs schnell zum Problem werden könnte. „Verdamp lang her“ dann. Ok, es klingt ungewohnt, Niedecken in hochdeutsch und sicherlich wird das nicht der neue Standard werden. Immerhin heißt BAP Vater und nicht „Band-die ehemals-kölsch-sang-und-nun-verstanden-werden-möchte“. Der zentrale Hit der Band erlebt hier ein Füllhorn an Veränderungen. Es baut sich nach wie vor langsam über vier Strophen auf, bis endlich der erste Refrain kommt. Im Wechsel singen Niedecken und Thomas D. von den Fanta 4 und schaukeln sich gegenseitig hoch. Natürlich klingt das alles glatt und sauber, aber eben lebhaft und nur darum geht es. Gleich danach die erste Singleauskopplung „Frau, ich freu mich“, die zunächst langweilig klingt, um aber genau im Intro schon Spannung aufzubauen. Der Hörer sieht einen Wagen, steigt ein und ab geht die Fahrt, als Beifahrer von Niedecken, der einem das erzählt, was er bereits seit 200 KM denkt, fühlt, erlebt. Man fährt mit, schaut nach vorn, manchmal zur Seite. Nur Niedecken blickt stur geradeaus und erzählt weiter. Das ganze in schwarz-weiß. Ich sollte Videos drehen… „Wellenreiter“ als Reggea. Seit dem „Müsli-Män“ haben BAP ein Patentrezept für Reggeasound. Unverkennbar wiedererkennbar. Bei „Wellenreiter“ stört mich eigentlich, dass man alles so oder so auslegen kann und um manche Kompromisse kommt man nicht herum. Und wie viele Komparsen reden sich ihr Wetterfähnchen aufs neue aus. Der Song an sich ist hier aber als Farbtupfer ok und vor „Kristallnaach“ besser aufgehoben als danach. Was früher noch ein Monster war, ist heute ein Alien und was früher noch ein düsterer Rocksong war, ist jetzt eine lautstarke Anklage. Laith Al-Deen verleiht dem Song eine weitere befremdliche Unruhe und im Wechsel mit Niedeckens Stimme wird es nahezu unbeschreiblich bedrückend, erschlagend. Dazu der treibende Rhythmus, der wie eine Lawine unaufhaltsam auf das Ende zurast. Der helle Wahnsinn! Und dann kommt vom „Vun drinne noh drusse“-Album noch „Do kanns zaubre“. Allerdings nicht mehr klein, still und zerbrechlich, sondern gereift, aufrecht und selbstbewusst. Gewöhnungsbedürftig für alle Lagerfeuer-Romatik-Gitarristen. Für alle anderen ein Zugewinn. Genauso wie „Nemm mich met“, von dem Niedecken selbst sagt, es wäre nie richtig fertig gewesen, was man jetzt mit dieser Version nachholen wolle. In der Tat klingt „Nemm mich met“ auf „Bess demnähx“ wie ein Zwitter aus „Zehnter Juni“ und „Ne schöne Jrooß“. Hier ist es endlich wie ein Rocksong, klar strukturiert und deutlich grooviger. „Alexandra, nit nur do“ fand ich damals klasse, mit dem „Cha“ vom Major, wie ein Blitz und dem darauffolgenden Donner in Form einer Bratgitarre. Nichts ist mehr davon über. Stattdessen werden jetzt die Noten betont, die einst untergingen. Dennoch ist es schön, diesen Song hier zu hören, wobei vom „Salzjebäck“-Album auch fast alle anderen gern gehört worden wären. „Time Is Cash, Time Is Money“ überrascht hier doch, denn ausgerechnet den produziertesten und unpassendsten Song vom „Ahl Männer“-Album hätte ich hier nicht erwartet. Um diesen Song nochmals aufzupeppen hat man jetzt „natürliche“ Instrumente benutzt und gleich noch „Culcha Candela“ engagiert und – es funktioniert. „Schau mal Mutti, ein Esel!“ Genau das kann man jedes Mal sagen, wenn man auf die ganzen Veränderungen stößt. Im Refrain bei 2:03 sollte man mal ganz konzentriert zuhören. Mehr sei hier nicht verraten. Mir gefällt das jetzt noch besser. Aber das Cover der Single einst ist unübertroffen! „Ahl Männer, aalglatt“ war ja aufgrund des Sounds für mich immer etwas problematisch. Jetzt kommt die Gitarre „stoneiger“ in der Strophe daher und siehe da, der Song klingt noch mal deutlich besser in meinen Ohren. Als ob ich es nicht schon immer gesagt hätte, aber auf mich hört ja keiner. Sinnigerweise folgt als letzter Song „Fortsetzung folgt“. Vom schaumschlägerischen „Da Capo“-Album. Was Gitarren und Tempo alles anstellen können. Endlich treibt der Song und ist nicht mit weichen Plastikspinnweben verklebt. Der Gesang von Niedecken kommt direkter und mit mehr Verve als auf der Originalaufnahme. Als Gastsänger hat man für diesen Song Nino Skrotzki von der Band „Virginia jetzt!“ eingeladen, der auch wirklich richtig singt, so wie Niedecken damals endlich richtig singt. Und genau das ist wohl der Knackpunkt bei diesem Song. Er verträgt keinen echten Gesang. Aber was für eine Rocknummer. Diese Version hat es wirklich in sich und der Song sich mit am besten entwickelt. Für alle Unverbesserlichen gibt es noch eine vollkölsche Version von „Verdamp lang her“, die aber musikalisch gleich ist. Geschenkt.
Fazit: Sicherlich ist Niedecken von der Urbesetzung noch der einzige. Allerdings hat er eine Band um sich versammelt, die ihre Ideen einbringt, umsetzt und alles zum Klingen bringt, als gehöre es so. Wenn Bands heute so funktionieren, warum nicht. Eine mitreißende erste CD, die allein schon Appetizer für mehr ist. Fortsetzung folgt.
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Das fiel mir ein als ich ausstieg.