Re: Das Sterne-Bewertungssystem des RS

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mueti

Registriert seit: 09.11.2007

Beiträge: 1,047

j.w.Im Sinne von: Der Anteil der großen Künstler, die in der jüngsten Vergangenheit aufkamen, ist im proportionalen Verhältnis zu der Anzahl der Veröffentlichungen gewachsen? Oder habe ich das falsch verstanden?

Nein, die absolute Anzahl großartiger Künstler ist gewachsen. Verhältnismäßig zur Zahl der Gesamtveröffentlichungen ist der Anteil geringer.
Sorry, falls das nicht ganz klar formuliert war.

topsUmgekehrt wird ein Schuh draus, Mueti. Es ist ja, wenn überhaupt, eine zahlenmäßige Abnahme großer Künstler zu verzeichnen. Eine These, die sich mit dem Bedeutungsverlust populärer Musik im künstlerischen Gesamtrahmen begründen läßt, was hier aber zu weit führen würde. Nur soviel: die Kreativen, die musisch Disponierten, suchen ihre Betätigungsfelder dort, wo sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können und dafür noch mit Ruhm und Barem belohnt werden. Es braucht einen Sog. Anders ausgedrückt: jede Zeit, jede gesellschaftliche Rahmenbedingung hat ihr Ambitionsangebot an junge Menschen.

Beispiel: in den späten 60ern wollten eine Menge männlicher Jugendlicher nichts lieber sein als ein virtuoser und berühmter Gitarrist. Projektionsflächen für derlei Träume gab es mehr als genug: Clapton, Hendrix, Page, Green, Taylor, Gallagher, Lee usf. – an axe grinding hero was something to be. Fragst Du heute Kids desselben Alters, ob es ihr Traum ist, als Gitarrist Karriere zu machen, erntest Du Gelächter. Die wollen auch reich und berühmt werden, viel dringender und vor allem schneller noch als ihre Vorfahren, aber als Game-Entwickler oder als Comedian oder als Rapper. Jedenfalls schöpft das Überangebot gniedelnder Axe-Grinder im Nachwuchsbereich nicht aus einem vergleichsweise großen Talent-Pool wie anno dunnemals.

Ein Beispiel nur, doch läßt es sich beinahe beliebig auf andere Kreativ-Felder ausdehnen. Nochmal: bot Musik vor 50 Jahren neben Sport das attraktivste Betätigungsfeld für ehrgeizige Talente, sind es heute eher Felder, die mit Internet bzw. generell mit Computern zu tun haben. Musik spielt da eine immer untergeordnetere Rolle, leider. Den erhofften Ruhm gibt es dort auf die Schnelle ja auch bereits ganz ohne mühselig angeübte Virtuosität via Casting-Shows.

Ergo: kleinerer Talent-Pool bei einem gewaltigen Mehr an Produktion = weniger große Künstler, proportional viel mehr Mittelmaß. Hoffe, mich verständlich gemacht zu haben.

Aber wird nicht die beste Musik (meist) von Menschen gemacht, die eine Disposition zu eben dieser künstlerischen Ausdrucksform haben? Es muss (und sollte vielleicht auch nicht) die Aussicht auf Ruhm, Geld und Erfolg den Ausschlag geben sich musikalisch zu betätigen. Ich will beileibe nicht von der Beschaffenheit künstlerischer Motivation grundsätzlich auf die Qualität des Werkes schließen, aber man kann doch davon ausgehen, dass tendenziell der Großteil wirklich guter Künstler ihre Kunst nicht aus rein weltlichen Ambitionen heraus erschaffen. Und auch wenn ich Ehrgeiz sehr positiv sehe, wird man allein mit diesem gerade in künstlerischen Bereichen oft nicht weit kommen. Ich weiß du meinst, dass aufgrund des geringeren gesellschaftlichen Stellenwertes weniger (junge) Menschen überhaupt erst in den intensiven Kontakt mit populärer Musik kommen, der nötig ist um solche Ambitionen zu entwickeln. Ich glaube eher, dass sich lediglich eine Verteilung weg von gitarrenorientierter Musik vollzogen hat. Dazu kommt, dass die Hindernisse vor einer Veröffentlichung zu weniger als einem Stolperstein zusammengeschrumpft sind.

Es stimmt zweifelsohne, dass durch die heutzutage oftmals quasi ungefilterten Wege der Veröffentlichung auch sehr viel Müll in die Welt getragen wird, ohne den sie gut ausgekommen wäre. Und trotzdem bieten sich dadurch eben auch für sehr potente Schaffende, die es vielleicht früher nicht in ein Major Label geschafft hätten, viel mehr Möglichkeiten bei einem der endlosen Nischenlabels unterzukommen oder kurzerhand selbst zu veröffentlichen.
Ich würde also behaupten, dass der Talentpool eben nicht kleiner geworden ist – im Gegenteil. Es mag eine Umverteilung in eine größere Zahl verschiedener Bereiche gegeben haben – aber wenn man sich den musikalischen Talentpool im Gesamten anschaut, sollte man ein Wachstum feststellen.

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