Re: Grateful Dead

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nail75

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j.w.[snip] Wie kommt das?

Auch wenn Clau und einige andere das vermutlich genauso sehen wie du, Grateful Dead hatten schon immer den Ruf als fantastische Liveband und eher mittelmäßige Studioband. Eigentlich sind sich die meisten Fans einig, dass das Hauptwerk der Band in ihren zahlreichen Liveveröffentlichungen zu finden ist – und nicht in den Studioalben.

Aus meiner persönlichen Sicht kann man die Warner-Alben in zwei Gruppen unterteilen, die psychedelisch-experimentelle Phase und die Americana-Alben. Letztere sind wirklich sehr gut und können alleine bestehen, während die ersten drei Alben eher im positiven Sinn interessant als brillant sind. Die Arista-Alben enthalten teilweise schöne Versionen klassischer Dead-Songs, aber auch „Zeug“, das ich für schwer erträglich halte.

Was die Livealben angeht, so ist der Gesang in der Tat der Schwachpunkt, aber er in weiten Teilen der 1970er war er adäquat bis sehr gut. Danach wird es problematisch. Aber die Faszination der Band liegt in ihrem unfassbaren Zusammenspiel. Ich liebe ihre Fähigkeit die Spannung selbst in 30-Minuten-Jams nicht zu verlieren. Ich liebe Garcias Gitarrenspiel, ich liebe den relaxten Groove, die Vielfalt an musikalischen Stilen, die Fähigkeit ganz präzise Akzente zu setzen, eine Songidee auszuarbeiten und dennoch den Kern nie aus den Augen zu verlieren.

Aber viel wichtiger noch als das ist die einzigartige Fähigkeit der Band, sich auf der Bühne neu zu erfinden. The Dead waren keine Liveband, sie waren ein Laboratorium, das sich dauernd neu erfand. Und dank der existierenden Aufnahmen kann man das bis ins Detail mitverfolgen.

Beispiel: Mai/Juni 1977. Wir haben einen beträchtlichen Teil der Tour auf offiziellen Veröffentlichungen. Ich alleine besitze 26 einzelne CDs oder LPs mit Musik aus diesem knappen Monat. Das muss auf jeden völlig exzessiv wirken, der nicht diese Musik genauso schätzt. Aber dennoch ist keine Show wie die andere, von Abend zu Abend ist nicht alles, aber vieles offen.

Das ist aus meiner Sicht einzigartig in der Popmusik. The Who, eine brillante Liveband, veröffentlichten ja vor einigen Jahren Hull als Gegenstück zu Leeds. Beide fantastisch, aber beide sehr ähnlich. Es gibt sicher Fanatiker, die einen ganzen Run von Who-Livekonzerten aus einem Monat erwerben würden, aber den meisten Hörern reicht vermutlich eine Show, die für die Tour repräsentativ ist. Nicht hier.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.