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Nachtrag: Hab endlich die Plattenkritik zu Horses aus Sounds von 1976 eingescannt. Für die, die es interessiert, was damals darüber zeitnah geschrieben wurde.
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Der liebe Gott und die CBS haben es gewollt, daß 1975 ganz im Zeichen von Bruce Springsteen stand. Der Ballyhoo und Razzmatazz, mit dem der unschuldige Junge aus New Jersey zu Weißen Riesen emporgejubelt wurde, lief mit solch durchschlagendem Erfolg, dass potentielle Kultfiguren (genauer gesagt: Bob Marley und Patti Smith) gar nicht erst zu ihrem Kult kamen.
So paradox es klingen mag – vielleicht sollte sich Patti Smith bei der CBS und Springsteen dafür bedanken. Denn wenn sich die Medien wie ausgedörrte Blutsauger auf einen neuen „Superstar“ stürzen, dann hat ihrem Opfer schon meist das letzte Stündlein geschlagen. Die Zwangsjacke, in die ein entwicklungsfähiger Musiker durch massive Image-Zementierung gesteckt wird, ist so ungemein belastend, dass er zwangsläufig hinter übersteigerten Erwartungen zurückbleiben muss. Schon bald wird Springsteen beweisen müssen, ob er nach dieser auslaugenden Publicity-Tortur überhaupt noch über nennenswerte Substanz und Glaubwürdigkeit verfügt.
Patti Smith dürfte mit diesem leidigen Medien-Mechanismus nicht minder zu kämpfen haben. Die struppige und sexuell kaum einzuordnende „Rock-Poetin“, über die man lange Zeit nur im New Yorker Underground geheimnisvoll tuschelte, ist für die Sucht der Medien nach schillernden Outsidern ein gefundenes Fressen.
Vor zwei, drei Jahren trat sie noch in Bar und Künstlerkneipen in Chelsea und Greenwich Village auf, schmetterte mit hypnotischer Stimme ihre Teste heraus: viel Rimbaud, viel William Burroughs, viel Junkie-Slang – das alles vorgetragen mit einer Stimme, die selbst bei einem Englisch-Unkundigen kalte Schauder auslösen wird.
Lenny Kaye, Rockkritiker und Amateur-Gitarrist, stieg als erster ein und steuerte schrille Gitarrenlicks bei. Aus dem ungleichen Gespann entwickelte sich nach und nach ein Sound, in dem Rock-Riffs und Sprach-Rhythmen immer mehr verschmolzen. Auch Piano, Baß und Schlagzeug, die im Verlaufe der letzten beiden Jahre in die Gruppe genommen wurden, ordneten sich in dieses Konzept ein.
Es ist kein Zufall, dass gerade John Cale Patti’s erste Platte produziert hat. (Eine selbstvertriebene Single mit dem Titel Hey Joe ist inzwischen vergriffen.) Die Parallelen zu den frühen Velvet Underground sind nicht zu übersehen: die gleiche Paranoia und Hysterie, der hypnotische Gesang, der amateurhafte und monotone Rhythmus – und dazu ein knallharter Sound, der den aufgedonnerten und schablonenhaften Produktionen einen Schlag unter die Gürtellinie versetzt. „Der beste Garagen-Band-Sound“, schrieb Lester Bangs in Creem, „den es bisher in den 70er Jahren gab“.
Andererseits sind die zehn Jahre seit den Anfängen von Velvet Unterground nicht spurlos an Patti Smith vorübergegangen. Was 1966 noch instinktiv und improvisiert was, ist hier schon reflektiert und in einem intellektuell anspruchsvollen Rahmen versetzt. Es gibt einige Passagen auf Horses, die fast gequält künstlerisch sind, zu maniriert, zu aufgesetzt und pathetisch. Aber das ist letztlich ein Vorwurf, den man weniger Patti Smith als dem veränderten Klima in der Rockmusik machen muß. Die Spontanität ist weg, Nostalgie mach sich immer mehr breit … na ja das alte Lied.
Trotz solcher Ausrutscher ist Horses eine ungeheuer faszinierende Platte. Patti Smith verfügt über eine Stimme, die Gefühle ausdrückt und anspricht, wie man es bisher von keinem/r Sänger/in erlebt hat. Ob man ihr nun wünschen soll, von der Peter Stuyvesant-Generation „entdeckt“ zu werden, ist noch die große Frage. Springsteen und die schon beginnenden Kommerzialisierungserscheinungen im Reggae sollten ihr ein abschreckendes Beispiel.
… Plattenkritik in Sounds Anfang 1976 ….
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