Re: Element of Crime

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sinnerman

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DER SPIEGEL 40/2005 – 01. Oktober 2005
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,377521,00.html
Pop

Nur die Ruhe, Sportsfreunde

Von Wolfgang Höbel

In zwei Romanen hat Sven Regener die Deutschen gelehrt, dass sich ihr angeblich so trauriges Land mit Lässigkeit und Witz bewohnen lässt. Nun setzt er seine Mission als Musiker fort.

Der eleganteste Rock’n’Roller der Nation trägt ein fliederfarbenes Polohemd mit Lacoste-Krokodil drauf und eine Brille mit breiten schwarzen Scheuklappenbügeln, wie sie einst Aristoteles Onassis populär gemacht hat und später dann Harald Schmidt. Sven Regener schlendert durch Berlin-Mitte wie ein Urlauber. Dabei ist er ganz in der Nähe, auf dem Prenzlauer Berg, zu Hause. In Ferienstimmung ist er trotzdem.

DPA
Rockmusiker Regener: „Ich bin der Wischmop für die Tränen“
„Es gibt zu viele Künstler, die sagen: Ich arbeite hart. Das ist Quark“, sagt Regener, 44. „Um Literatur zu schreiben, muss man sich was ausdenken; und wenn man singt und Trompete spielt und die ganze Zeit stehen muss, ist das zwar körperlich anstrengend – aber beides ist keine Arbeit, sondern Spiel. Ich glaube an die klare Trennung von richtiger Arbeit und Kunst.“

Das ist ein schöner Satz, und weil der Schriftsteller und Musiker Sven Regener das weiß, legt er eine kleine Pause ein, nippt an seinem grünen Tee und blickt ein bisschen philosophisch drein. Draußen vorm Fenster des Restaurants in Berlins Hackeschen Höfen eilen rucksackbepackte, hip verschlampte junge Mitte-Menschen zu ihren Praktikantenschreibtischen. Regener aber preist das Privileg, ein „schon sehr angenehmes“ Künstlerleben zu führen: „Wenn man zwei solche Megahits geschenkt bekommt, dann hat man richtig Glück gehabt.“

Die Megahits, die Regener meint, sind die Bücher „Herr Lehmann“ und „Neue Vahr Süd“, deren gemeinsamer Held gleichfalls stark dem Philosophieren zuneigt. Beide Bücher haben sich in sensationellen Auflagen verkauft, das erste – von Leander Haußmann verfilmte – sogar mehr als eine Million Mal.

Beide Bücher sind moderne Schelmenromane. Und rare Leuchtsignale in einem von Sorgen-Düsternis, Verbitterung und schlechter Laune geprägten Land. Denn, so lehrte Regeners Held Frank Lehmann die deutschen Leser: „Man müsste positiver sein, irgendwie besser gelaunt“ – und man kann auch absolut traurigen Zuständen mit wunderbar lässigem Witz begegnen.

„Herr Lehmann“ (2001) erzählte von einem fast 30-jährigen Bewohner Berlin-Kreuzbergs, der als Thekenkraft jobbt, eine Köchin anbetet und von ihr verraten wird, der seinem besten, grässlich gebeutelten Freund mit knapper Not das Leben rettet und dann vom Mauerfall überrascht wird, während er am Tresen einer trüben Kaschemme steht. „Neue Vahr Süd“ (2004) schilderte dann die ganz frühen Erwachsenenjahre des Frank Lehmann: wie er in Bremen aus der elterlichen Wohnung auszieht, in Sponti- und K-Gruppen schwindelig geredet wird, mit einer störrischen jungen Frau in Uni-Mensen herumhängt und bei der Bundeswehr sinnfreie Quälereien übersteht. In beiden Büchern aber triumphiert ein trotziger Dickschädel mit Lakonie und Herz über alle Miseren.

„Glaubt bloß nicht, dass ihr mich kleinkriegt“, so beschreibt Regener nun die Lebenshaltung, die das jüngste von ihm mitverantwortete Werk prägt: die CD „Mittelpunkt der Welt“ seiner Band Element of Crime. Viele begeisterte Regener-Leser haben ja oft erst nach Lektüre und mit Staunen erfahren, dass der Autor seit Jahren Sänger, Trompeter und alleiniger Texter einer deutschen Band ist – dabei haben Element of Crime durchaus einen verwegenen Ruf in der kleinen deutschen Popwelt: als Haufen genialischer Sonderlinge.

ZDF/ Sessner
Reich-Ranicki, literarisches Quartett: „ob ich verrückt geworden bin, so was zu lesen“
Angefangen haben Regener und sein Band-Gründungskumpan Jakob Friderichs mit drei weiteren Musikern 1985 in Berlin. „Das war ein besonderes Jahr“, sagt Regener. „So tot war die deutsche Popmusik

nie wieder.“ Andreas Dorau, Nena, Markus und all die anderen Idole der sogenannten Neuen Deutschen Welle waren vergessen, und auch Rockheroen wie die Ärzte, die Toten Hosen oder Grönemeyer hatten damals keine gute Zeit. Die allererste Platte von Element of Crime verkaufte sich nur 800-mal.

Die Songs, die Regener und Konsorten zunächst in englischer Sprache und von Beginn der Neunziger an nur noch mit deutschen Texten vortrugen, klangen wehmütig und scheppernd und oft wie altmodische Jahrmarktslieder aus französischen Filmen; oder wie verschollene und plötzlich wiederentdeckte Songs von Kurt Weill. Sie enthielten sehr poetische Schilderungen männlicher Verlorenheit und Anklagen weiblicher Gefühlsarmut der Sorte „Ihr Herz ist kalt wie ein gefrornes Hühnchen“.

Sturköpfig, wie er nun mal ist, besteht Regener bis heute darauf, dieses mit Trompete, Mundharmonika und Streichern garnierte Sehnsuchtsschrammeln zu Krächzgesang als Rock’n’Roll zu bezeichnen. Und vermutlich hat er recht damit: Es rockt aus den Tiefen der deutschen Seele, wenn Regener auf dem neuen Album knarzt: „Ich bin der Wischmop für die Tränen / und der alte Hund, der für dich beißt.“

„Das sind Liebeslieder, in denen man jetzt nicht direkt gegen die Gesellschaft rebelliert“, sagt der Songschreiber, „auch wenn man sehr zornig sein kann und sehr traurig und sehr glücklich.“

Regeners literarischen Helden Lehmann nannte die Kritikerin Iris Radisch einst im „Literarischen Quartett“ einen „geistigen Frührentner“, Marcel Reich-Ranicki fragte sich laut, „ob ich verrückt geworden bin, so was zu lesen“. Klar, dass „Herr Lehmann“ danach den Buchmarkt im Triumph nahm.

Es ist aber gerade nicht die Verbitterung ausgemusterter mittelalter Säcke, sondern ein bedächtig-heiterer Skeptizismus, der auch die Helden der Element-of-Crime-Lieder so behutsam herausrücken lässt mit ihrem Zorn und ihrer Traurigkeit und ihrem Glück: Sie halten nichts von großspurigen Lebensplänen und schon gar nichts vom Hadern mit den Schicksalsgöttern. Dafür kennen sie das Glück des Stillstands, das im deutschen Wohlstandselend zu finden ist.

„Wo die alten Leute immer / schimpfend an der Ecke stehen / werd ich mich dazugesellen“, singt Regener einmal; aber ihm geht’s nicht ums Mitzetern, sondern eher um amüsierte Anteilnahme, während man zusammen eine Zigarette raucht.

Überhaupt das Älterwerden: „Feige“ findet es Regener, selbst Vater einer Tochter, wenn pseudojunge Eltern ihre Kinder wie ihresgleichen behandelten und die Erziehung verweigerten. „Wir waren nie drauf angewiesen, jung zu sein“, sagt er. „Von Anfang an war klar, dass man unsere Musik auch zehn Jahre später noch machen kann, wenn der süße Vogel Jugend ausgeflogen ist.“

Die zehn Songs des neuen Element-of Crime-Albums hören sich an wie nett gealterte Geschwister großartiger Element-of-Crime-Lieder, die in den neunziger Jahren auf CDs wie „Damals hinterm Mond“ oder „Weißes Papier“ erschienen. „Wer verlangt denn Entwicklung in der Rockmusik?“, fragt Regener und könnte sich gleich ereifern über den Irrglauben der Kulturindustrie, ein Künstler müsse stetig an sich arbeiten oder sich gar neu erfinden. „Wenn wir plötzlich klingen wollten wie Rammstein oder Roland Kaiser – das wäre eine Entwicklung, aber wozu? Wir haben neue Lieder aufgenommen. Die sind anders genug.“

DPA
Im Lied wie im Film: Kneipendunst und Zigarettenqualm („Herr Lehmann“-Darsteller Christian Ulmen und Detlev Buck)
Zu hören ist da zum Beispiel, wie’s ist, wenn eine schöne frische Kneipenbekanntschaft die vorletzte U-Bahn davonfahren lässt („Ein Vollidiot bin ich gern“), während „der letzte Sportsfreund“ nach Hause schleicht. Beschworen wird die Stunde, in der alle Gläser ausgetrunken und alle Sünden vergessen sind: „Frag mich nicht, woher ich komme / sag, du freust dich, mich zu sehen“, heißt es im Titelstück des Albums. Derart viel Kneipendunst und Zigarettenqualm ziehen durch diese Lieder, dass einen beim Zuhören der Drang überkommt, die eigenen Kleider (und den von so viel Melancholie-Schwummer betörten Verstand) hinterher eine Weile an die frische Luft zu hängen.

Sven Regener aber schlürft im Hackesche-Höfe-Restaurant seinen gesunden grünen Tee, saugt genüsslich die durchs geöffnete Fenster hineinströmende frische Luft in die Lungen und streicht sein Poloshirt glatt: „Diese Hemden sind genau das Richtige für Männer ab Mitte 40“, sinniert er, „die sind so geschnitten, dass sie perfekt den Bauch verdecken.“ Rocker mit dünner werdenden langen Haaren, Lederhosen und klirrenden Sporen gebe es genug.

Der ausgeruhte Rock’n’Roller Regener verkörpert eine Art Gegenprogramm zum Lärm der aktuellen deutschen Sinnkrise. Sollen sich die Leute jeden Sonntag bei „Christiansen“ die Rüben heiß reden, wie verrottet unser Land sei und wie chancenlos und wie wehleidig; mag seit der Bundestagswahl das Gespenst einer plötzlich nach rechts gerückten Kultur-Intelligenzija durchs Gelände geistern – Regeners weltanschauliches Fundament steckt in den Liedzeilen „Alles geht immer irgendwie weiter“ und „Wo deine Füße stehen / ist der Mittelpunkt der Welt“. Mit diesem Mann lässt sich kein Aufbruch organisieren.

Zur Politik und den Politikern zieht Regener, der immer alles ganz genau wissen und auseinander halten möchte und einem das dann ganz genau erklärt (vermutlich Fluch der K-Gruppen-Schule seiner Bremer jungen Jahre), eine der klaren Trennlinien, die er so liebt. Ganz schlimm finde er Musikerkollegen und Schriftsteller, die sich, wie beispielsweise Günter Grass, Herbert Grönemeyer oder Bono, im Nebenberuf als Weltverbesserer und Politikplauderer versuchen.

„Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem, was ich schreibe und singe, und dem, was ich wähle“, behauptet Sven Regener. „Wir packen die Leute bei den Emotionen; Politiker, hoffe ich, packen die Leute beim Verstand.“ Folglich gebe es absolut nichts voneinander zu lernen: „Ich bin dagegen, dass im Bundestag gesungen wird.“

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Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg; was wir Weg nennen, ist Zögern. (Kafka)