Re: Miles Davis

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gypsy-tail-wind
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Der Punkt ist doch, dass das Etikett „Jazz-Rock“ oder „Rock-Jazz“ nicht viel taugt. Dass die Musiker das Etikett propagiert hätten, glaube ich nicht. Wenn einem Hörer Rock-Elemente fehlen, dann ist das des Hörers Problem, bzw. es soll sich bei den Erfindern des nur halbwegs geeigneten Etiketts wegen Erwecken falscher Erwartungen beschweren.

Der „Jazz-Rock“ öffnete sich ja in diverse Richtungen – die Auflösung von Song-Formen machte James Brown in seiner Band der Jahre 1964-69 vor – mit Rock hat das kaum etwas zu tun, eher greift das auf älteren Rhythm & Blues zurück (was Rhythmen und Grooves betrifft – die natürlich weiterentwickelt werden). Wenn ich mir frühen elektrischen Jazz anhöre – Zawinul in Cannonballs Quintett, Eddie Harris mit seinem elektrischen Saxophon und seinen erfundenen Film-Themen … das hat mir Rock überhaupt gar nichts zu tun, ausser dass man halt beidenorts das Fender Rhodes und den Fender Bass verwendete und auch mal eine Stromgitarre zum Einsatz kommen mochte. Wenn bei Miles Joe Beck, George Benson oder Bucky Pizzarelli an der Gitarre in Sessions des „second quintet“ auftauchen, wenn er im wundervollen „Filles de Kilimanjaro“ elektrische Grooves auszukosten anfängt und Tony Williams auch mal einen zickigen synkopischen Beat hinknallt, dann hat das mit dem oben Genannten zu tun – und nicht mit Rock. Die Rock-Komponente kommt wohl auch eher via Jimi Hendrix rein (der ja auch seine R & B-Dues entrichtet hatte und vom Background her näher bei Miles oder James Brown war als beim Rock).

Allerdings wird die Rock-Komponente so um 1970 zweifellös wichtiger, in den Sessions um „Jack Johnson“ etwa, mit kargen Grooves und brachialen Gitarrensoli. Aber auch da ist wieder eine hypnotische Qualität im Spiel, die mehr mit „In a Silent Way“ zu tun hat als mit der British Invasion oder den Hippie-Rockern aus dem Kalifornien der Tage.

Ich finde auch in den allermeisten Fällen den „Jazz-Rock“ dann am spannendsten, wenn er erst gerade entsteht, wenn er nicht in Formeln fällt, die ihm sehr rasch den Garaus machen sollten (man nennt das dann öfte „Fusion“ … und der Weg zum „Smooth Jazz“ ist oft nicht allzu weit, obwohl auch das wieder ein völliger mis-nomer ist). Aber was es z.B. bei Harris zu hören gibt, oder bei den frühen Weather Report, auf den ersten Mahavishnu-Alben oder bei Lifetime (die Parallel des Covers des zweiten Albums zum grandiosen Album von The Velvet Underground war sicher kein Zufall, oder?), das fasziniert mich enorm. Das ist Musik, die Räume öffnet, Musik der Möglichkeiten … the sound of wide open spaces. Rock empfinde ich nur in seltenen Fällen so (und öfter dürfte es dann der Fall sein, wenn er von Musikern gespielt wird, die sich genau diesen Aspekt bei den genannten und anderen „Jazz-Rockern“ abgeschaut haben, vermute ich).

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