Re: Van Morrison

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dominick-birdsey
Birdcore

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ein schöner (polemischer) artikel von uwe kopf aus dem jahr 1995.

Danke, dass es dich gibt.
Uwe Kopf über Van Morrison, den überragenden Sänger der Gegenwart.
Jetzt wird er 50 Jahre alt, und ohne ihn wäre ich vor meinem 25. Geburtstag gestorben: Damals, im Herbst 1979, wütete der Alkohol in mir, mein Verstand war fast weg, ich konnte nicht mehr schlafen, alle Menschen flohen vor mir, in meinem Wahn blieb nur der Ire Van Morrison bei mir – mit seiner Gitarre saß er vor meinem Kleiderschrank und sang aus seiner LP „Into The Music“, und der Gospelfolk tröstete mich durch die Schwärze der Stimme und die Helligkeit der Lieder. Morrison holte mich in die Wirklichkeit zurück, denn ich war in ihn frisch verliebt, das ist ja stets wie frisch operiert.
Als Morrison mich erlöste, hatte er bereits ein Dutzend Langspielplatten veröffentlicht, darunter „Astral Weeks“ – das Werk halten Experten neben „Pet Sounds“ von den Beach Boys für das beste Album in der Rockgeschichte, aber was hat Morrison zu tun mit Rockmusik und Rockfans? 1981 war er in der Essener Grugahalle beim „Rockpalast“, und während er auf der Bühne stand, wirkte er so deplaziert wie, sagen wir, Peter Handke als Jumping Jack Flash auf einem Seemannsfest mit Preisskat und Flaschendrehen.
In seiner Weltvergessenheit und auf der Suche nach dem Erhabenen ist Morrison eher ein Klosterchef als ein Rockstar oder Popstar. Wer Gott erkennen will, erkennt ihn, wo er möchte: Morrison ist bei Gott in der Natur, besonders im Regen, und die Liebe am Nachmittag ist für Morrison ein Gottesdienst, darauf deuten die Lieder immer wieder hin. Diesen Gottesdienst verrichtet Morrison jetzt mit seiner Verlobten, sie war mal Schönheitskönigin. Er selbst ist nicht so schön und sieht aus wie ein Troll mit Übergewicht, der noch nicht lange raus ist aus dem Armenhaus.
Aber diese Eitelkeit! Vor einem Konzert in Hamburg schlich ich mich hinter die Bühne, um zu erfahren, wie Morrison sich vorbereitet, und da war er in einer Ecke vorm Spiegel, gab Haarspray auf seine wenigen Strähnen und legte sie quer über den Schädel. Inzwischen trägt Morrison andauernd einen Hut, und ein Soulkünstler, der seine Glatze unter einem Hut verbirgt, hat eine ähnliche Tragik wie ein Friseur mit Toupet.
Der Musiker Johnny Cash trägt auch ein Toupet, trotzdem gilt er bei Jugendlichen als cool – wie Leonard Cohen, dabei sind die beiden bald Greise, und es wäre an der Zeit, dass die Jugendlichen auch Morrison entdecken, denn was er macht, ist bewegend, er hat in Ton und Wort etwas zu sagen. Morrison ist immer noch ein Radikaler; verglichen mit ihm, sind fast alle anderen Sänger bloß Schlagersänger. Nun, da die Werbung behauptet, ein Automobil müsse Leidenschaft haben, ist Morrison einer der letzten Menschen mit Leidenschaft. Was aus einem Thema zu machen ist, zeigte Johann Sebastian Bach und zeigt Van Morrison. Etliche Musiker haben versucht, seinen Stil nachzuahmen – das Weglassen, das Aussparen, das Wiederholen, und so sind Imitate entstanden und später Kopien der Imitate, und Morrison, das Original, strahlte immer heftiger.
Meine Analyse dieses Mannes, meine Kennerschaft wollte ich mir vor Jahren bezahlen lassen: In einem Brief bewarb ich mich beim Fernsehquiz „Der große Preis“, ich wüsste alles über Van Morrison. Da ich keine Antwort bekam, rief ich so lange beim ZDF an, bis ich den Quizmaster Wim Thoelke am Telefon hatte und ihn fragen konnte, was denn jetzt sei. Thoelke meinte, er glaube nicht, dass sich sein Publikum für den Sänger der Doors interessiere – Thoelke verwechselte Van Morrison mit dem Affen Jim Morrison, worauf ich Thoelke zusammenschrie und verfluchte, wie ein Pfarrer einen Ministranten verflucht, der vor den Altar gewichst hat. Nach dem Telefonat erkrankte Thoelke am Herzen und musste seine Sendung aufgeben, er hat unser Gespräch nicht verkraftet, aber Strafe muss sein. Von Thoelke würde ich Morrison gern erzählen, während wir durch seine Heimatstadt Belfast spazieren. Ich würde Morrison vorschlagen, dass ich für eine Jubiläumsplatte 30 seiner Songs auswähle und seine Biografie schreibe, denn so wie nur Golo Mann zum Biografen Wallensteins geeignet war, bin nur ich geeignet zum Biografen Morrisons. Warum, würde ich Morrison fragen, wechselte er in dem Lied „Like A Cannonball“ von E-Dur nach cis-moll, das überraschte mich damals.
Um Morrison für mich einzunehmen, würde ich beim Spaziergang eine Schwäche zugeben: Vormittags habe ich immer Rasierschaum im Ohr, er verschwindet erst nach Stunden. „Mister Morrison“, würde ich sagen, „bis ich Platten von Ihnen hörte, mochte ich keine Bläser, aber wegen Ihnen habe ich versucht, Saxofon zu lernen, doch ein Student in meiner WG hat das Saxofon kaputtgemacht, weil er keine Van-Morrison-Songs mehr ertrug, und aus demselben Grund hat der Student auch meine Van-Momson-LPs kaputtgemacht.“
Aber ich werde Morrison niemals treffen, denn er sähe in mir den Interviewer, und Interviewer sind für ihn Verbrecher – ich will an Morrison kein Verbrechen begehen, ich will ihn nicht quälen; er hat genug Sorgen und grübelt, wie es nach dem Tod weitergeht. Ist dann Ruhe? Ich wünsche Morrison, dem Rotweintrinker, er möge als Reblaus in Italien wiedergeboren werden und sich auf den Trauben einrichten, und wenn die anderen Rebläuse kommen, um ihm seinen Saft wegzunehmen, wird Morrison sich an seinen Elf-Minuten-Song erinnern und mit aller Wildheit singen: „Listen to the lion inside of me!“
Die Rebläuse werden zittern und sich zurückziehen, und Van Morrison hat endlich, endlich seine Ruhe.

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