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lathoJa, das ist zum Schreien. Im Bezug auf das Mittelalter ist jede deutsche Gegend Köln (=faschingsvernarrt).
Im BR lief vor Jahren mal eine Sendung über die Mittelalter-Szene, da erzählte ein nicht allzu helles Mädchen, das sie das schon toll finden würde, so in einer Burg und so…
Wenn sie etwas über da Mittelalter wüsste, dann wüsste sie, dass, würde sie dort leben, sie wahrscheinlich (gesetzt den Fall, sie hätte Geburt und Kindheit überlebt) mit ihren diversen Kindern beschäftigt wäre, mit diversen Zipperlein (zB keine Zähne oder zumindest vom Sand im Korn abgeschabt) zu kämpfen hätte und das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in einer Burg (denn da wohnten ja nur winzige Bevölkerungsgruppen), sondern in irgendeinem Erdloch.
(andere Gefahren des MA: bitte die anderen Historiker, Herr Rossi, hilf aus! :) )
Alles eine Folge von PISA, wenn sowieso allzu verträumte Kinder das Mittelalter mit dem Herrn der Ringe verwechseln.
Die Musik „dazu“ ist natürlich auch nicht Mittelalter (selbst Dead Can Dances wundervolle Aion war das nicht), sondern „spielt“ genauso Mittelalter – das mischt sich dann mit Gothik oder Hardcore, mit deutschen Texten à la Rammstein und dem gerollten „R“. Stösst mich ab, ist aber, Bluezifer, weniger faschistoid als vielmehr dämlich.
Alles richtig, das reale Leben im Mittelalter kann sich kein Mensch der Gegenwart ernsthaft zurückwünschen. Allerdings sollte man es auch nicht nur grau in grau sehen, auch damals haben Menschen nicht nur gelitten, sondern auch gelacht, geliebt und schöne Dinge geschaffen. Es bleibt aber unsere „nächste Fremde“ und man sollte sich bei der Beschäftigung mit dem Mittelalter dieser Fremdheit bewusst bleiben. Als Lektüre empfehle ich, wen’s interessiert, von Ernst Schubert: „Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander“.
Als Historiker finde ich diese Folklorisierung und Verniedlichung des Mittelalters durch die einschlägigen Hobbygruppen auch mehr als seltsam und kann den ganzen Märkten und anderen Veranstaltungen nichts abgewinnen.
Der so genannte Mittelalter-Rock gehört für mich zum schlimmsten, was musikalisch erfolgreich war in den letzten Jahren. Das hat mit Mittelalter nichts zu tun und auch den armen Tolkien sollte man nicht dafür verantwortlich machen.
Es gibt aber absolut versierte Musiker mit Jazz- und Klassik-Hintergrund, die auf originalgetreuen Instrumenten Lieder aus dem Mittelalter und der Renaissance (bzw. in diesem Stil neu komponierte Lieder) auf eine Weise spielen, dass es wirklich wunderbare Live-Unterhaltung ist. Bei denen klingen auch moderne Einflüsse an, diese Musik wird nicht so bierernst als „authentisch“ verkauft, sondern ist einfach ein anspruchsvoller musikalischer Spaß. Aus meiner lippischen Heimat kann ich die Gruppe „Liebstöckl“ empfehlen und vor allem die Gruppen von Daniel Wahren, die früheren „Haugebonden“ und die jetzigen „Duivelspack“ empfehlen, wobei ich bei Auftritten von „Duivelspack“ die Sängerinnen von „Haugebunden“ vermisse – stimmlich wie optisch. Von denen gibt’s auch CDs, wobei die das Live-Erlebnis nicht ganz ersetzen.
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